„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945 – 1955)

„„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945 – 1955)9. Warum der Klaus nie mehr zum beichten ging


9. Warum der Klaus nie mehr zum Beichten gingDie Erstkommunikanten der 3. Klassen hatten fleißig ihren Beichtspiegel gelernt. Man musste die zehn Gebote kennen und die dazugehörenden Möglichkeiten benennen können, sich in ihren Bereichen zu versündigen. Und das natürlich auswendig. Das 6. Gebot wurde nicht in der Schule besprochen. „Dös lasst ihr euch dahoim erklären, was da los isch,“ meinte unser Pfarrer Dekan Heffele.Aber wer wollte darüber zu Hause sprechen. Also tappte man auf diesem Feld etwas ratlos umeinander. Ich meinte: „Ich kann mir schon vorstellen, was es bedeutet: Ich habe Unkeusches getan, allein oder mit anderen…Ich habe neulich mit dem Egon auf einen Kuhfladen gebieselt. Da beichte ich halt das!“Die anderen beneideten mich fast, weil ich schon etwas gefunden hatte, was man sagen könnte. Auch das 8. Gebot brachte uns in Schwierigkeiten: Du sollst nicht Ehe brechen. Die mögliche Sünde lautete hier: Hast du begehrt deines nächsten Weib?Tröstlich war, dass der Herr Dekan erklärte, man müsse nicht bei jedem Gebot eine Sünde beichten. Das 8. Gebot wollte ich daher auslassen. Da man dem Pfarrer bei der Beichte signalisieren sollte, dass man seinen Beichtspiegel gelernt hatte, musste man dann bei einer Fehlanzeige sagen: „Gegen das 8. Gebot weiß ich nichts!“Kurz vor den Weihnachtsferien war es dann so weit. Freitagnachmittag, 14 Uhr war der Termin für die erste Beichte angesetzt. Die Kirche war bitter kalt. Wir Erstkommunikanten stellten uns hintereinander auf, die Buben links, die Mädchen rechts. Die Viertklässler kamen eine Stunde später zum Beichten in die Kirche und schlossen sich hinter uns an. Dekan Heffele saß vorne links in der Beichtstuhlmitte, von einem lila Vorhang verdeckt, die Beichtlinge knieten nacheinander links oder rechts hinter einem Vorhang nieder, um hier ihre Sünden zu bekennen. Herr Dekan hatte uns in der Schule freundlich erklärt: „Ihr braucht’s vor dem Beichta koi Angscht haba, wer sich seine Sünda net saga traut, kann sie auf an Zettl schreiba und mir geba.“ Das gab für alle Fälle Sicherheit.Der Klaus stand in der Reihe vor mir. Er wirkte seltsam gelassen. Je kürzer die Reihe vor dem Beichtstuhl wurde, desto unruhiger wurde ich. Aber der Klaus? Keine Spur von Aufregung! Endlich kamen wir dem Ereignis der Erstbeichte ganz nahe! Unsere Füße und Hände waren vor Kälte schon starr. Die Feuchtigkeit des Atems schlug sich auf unseren Nasenflügeln nieder und bildete kleine Tröpfchen, die man immer wieder mit dem Jackenärmel wegwischte oder hochschniefte. Jetzt endlich war der Klaus dran. Er trat ganz selbstbewusst in den Beichtstuhl ein, kniete nieder und zog den lila Vorhang hinter sich zu. „Mensch, der Klaus, der hat Mut!“ dachte ich. Noch mehr Bewunderung empfand ich, als er plötzlich seine Hand mit einem Zettel hinter des Pfarrers lila Vorhang verschwinden ließ. „So ein Hundling, der Klaus! Hat immer gesagt, dass ihm das Beichten nichts ausmacht. Und jetzt arbeitet er mit einem Zettel!“Plötzlich kam in den Beichtstuhl Bewegung. Es rumpelte und polterte! Der Herr Dekan riss seinen Vorhang zur Seite, zerrte den armen Klaus aus dessen Abteil heraus, watschte ihn kurzerhand ab und brüllte: „Ja du Hurabua, du nixiger, kannsch du dein Beichtschpiegel net lerna. Du stellsch di jetzt hinta a, dann hosch Zeit, dein Beichtschpiegel zum lerna.“ Aber oh je, da standen ja schon die beichtwilligen Viertklässler. Klaus musste sich hinter ihnen anstellen und kam erst bei Dunkelheit von der Beichte nach Hause, völlig ausgefroren. Diese Beichte war seine erste und zugleich letzte. Das hat er mir auf einem Klassentreffen nach fast 60 Jahren glaubhaft versichert, – und wer wollte es ihm verdenken, nach dieser Erfahrung? (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)