„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 39. Neid und seine schmerzhaften Folgen

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 39. Neid und seine schmerzhaften Folgen
Unsere Hausleute hatten neben unserem Wohnhaus einen großen Garten, der durch ein Türchen vom Hof aus schnell erreichbar war. Im Garten befand sich ein Betonbunker. Er stand unserer Hausgemeinschaft bei Fliegerangriffen zur Verfügung. Ich selbst kann mich, da ich noch zu klein war nur an ein einziges Mal erinnern, dass wir im Bunker saßen.
Der Garten war vom Hof aus durch Holzzaun und Thujahecke abgegrenzt. Hier standen große Apfelbäume, die im Herbst reichlich trugen.
Einmal saßen Erwin, der Sohn der Hausleute mit seinem Cousin Heinz im Baum und halfen ihrer Oma beim Apfelpflücken. Vorsichtig wurden die Früchte in Körbe gelegt um sie dann zum Einlagern in den Keller zu bringen.
Hans Jürgen und ich bolzten im Hof herum, während der kleine Bruder von Heinz, er war etwa vier Jahre alt und nannte sich selbst Hansi Ala, immer wieder vom Garten in den Hof wechselte. Wir beobachteten mit neidischen Augen die Buben, wie sie im Baum saßen und Äpfel mampften. Ihre Schmatzgeräusche ließen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich rief: „He, Leute, schmeißt uns doch auch einen Apfel herüber!“ „Kommt schon!“ lautete die Antwort, „fangt auf!“ Sogleich warfen die beiden ihre Apfelbutzen über die Hecke und lachten dabei. Diese Aktion hat uns unheimlich gewurmt. Dazu kam, dass nun Hansi Ala aus dem Garten in den Hof tippelte um an den Zaun zu pinkeln.
Hans Jürgen schimpfte: „Du Ferkel, kannst du nicht im Garten bieseln?“ Da drehte sich Hansi Ala um und erwischte mit seinem Strahl Jürgens Beine. Dieser scheuchte Ala in den Garten und schlug wütend das Türchen zu.
Bald darauf bemerkte ich, dass sich Ala schon wieder dem Gartentürchen näherte, um zu uns in den Hof zu gelangen. Das wollte ich aber verhindern und trat dagegen. Das Türchen schnellte zurück und knallte dem armen Kerl an den Kopf. Ein Schrei, der Bub fiel rückwärts in den Garten und blieb neben einem Brett, das zufällig im Eingangsbereich lag, jämmerlich klagend liegen. Hans Jürgen und ich verdrückten uns sofort ins Haus hinein, ein jeder in seine Wohnung. Dort verhielten wir uns ruhig. Es dauerte gar nicht lange, da verlagerte sich das Geschrei des Buben in das Haus hinein. Die Oma zerrte ihr brüllendes Enkelkind in die Küche und kühlte die rasch anschwellende Beule mit kalten Kompressen. Als aus dem Schreien ein Wimmern wurde, hörte ich Oma Schuster die Treppe hinauf stapfen. Ich erschrak mächtig, hatte ich doch Angst, sie würde gleich an unsere Wohnungstür klopfen. Zum Glück zog sie weiter in den zweiten Stock zu Familie Spiegel. Jürgens Mutter war meistens daheim, während Vater Spiegel nach München zur Arbeit fuhr und erst spät abends heimkam.
Da unsere Wohnungen sehr hellhörig waren, hörte ich Oma Schusters Geschimpfe über uns ganz deutlich. Der arme Jürgen bekam alles ab und schuld war doch ich! Leise schlich ich aus unserer Wohnung und betrat vorsichtig Spiegels Etage. Die Küchentür stand einen Spalt breit offen. Ich spähte hindurch und sah Jürgen weinend auf der Coach sitzen. Seine Mama war sehr wütend und hatte ihm wohl schon “Sänge“ verabreicht. Dieses Wort stand bei der Rheinlän-derin für Schläge. Oma Schuster schilderte lautstark den Hergang des Attentats auf ihr Enkelkind: „Da hab’ i’ g’seha, wie der Jürgen dem Hansi mit dem Brett a’ so auf d’ Kopf g’schlaga hot!“ Dabei holte sie weit über dem Kopf aus, um die Wucht des Niederschlags zu demonstrieren. Nun entdeckte sie plötzlich im Türspalt meine dunklen Augen und schrie: „Do isch ja der andere! Oder warsch‘ du‘s?!“ Jetzt merkte Frau Spiegel, dass bei Oma Schusters Bericht etwas nicht ganz stimmen konnte und forderte mich auch, den Hergang der Geschichte zu erzählen: „Ich habe das Türchen aufgetreten, wovon Ala am Kopf getroffen wurde, das Brett lag nur zufällig herum,“ gestand ich mit zaghafter Stimme.
„Brett hin oder her, der arme Bua hot a’ solchene Beule!“ schimpfte die Oma und zeigte mit Daumen und Zeigefinger eine große Kartoffel. „Die Hurabuaba, die nixige, mei armer Hansi!“ Zurecht aufgebracht verließ sie Spiegels Wohnung und stapfte die Treppen hinunter. Als wir wieder alleine in Spiegels Wohnung waren meinte Mutter Spiegel: „So, Jürgen, du hast jetzt einmal “Sänge“ gut bei mir. Zur Linderung der Schmerzen mache ich dir heute Abend Pfannenkuchen und Winfried darf zum Essen raufkommen, weil er die Sache aufgeklärt hat.“ Diese Entscheidung gefiel mir.
(Weitere Geschichten von Winfried
Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)