„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 38. Intensive Düngung braucht Zeit

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 38. Intensive Düngung braucht Zeit

Das Düngen hatte in Stadtbergen eine lange Tradition, deren Pflege man deutlich wahrnehmen konnte. An manchen Tagen zogen solch üble Gerüche über die Gemeinde hinweg, dass niemand mehr wagte, die Fenster zu öffnen. In Ermangelung einer Kanalisation wurden die Versitzgruben in regelmäßigen Abständen leer gepumpt, die Güllewagen breiteten ihren Inhalt auf die umliegenden Wiesen und Felder. Da diese Stadtbergen von allen Seiten umgaben, hielt der Gestank im Ort aus allen Himmelsrichtungen Einzug.
Seit 1951 hatten wir einen kleinen Garten in der Beethovenstraße. Unsere Tante Rosa beharrte auf ihrer Meinung, nur mit ausreichend Dung versorgte Pflanzen brächten gute Erträge. Sie kam schließlich aus einem Bauernhof und musste es wissen. Ihre Ansicht unterstrich sie mit dem Auftrag, uns stets nach geeignetem Material umzuschauen. Ein paar Möglichkeiten dazu boten sich an:
In Stadtbergen gab es einige Fuhrwerke. Eines gehörte dem Kohlenhans (Knöpfle), der mit seinem alten Gaul Heizmaterialien ausfuhr, ein anderes war als Stadtberger Müllabfuhr im Einsatz. Der Bitt Max und seine Helfer leerten alle paar Wochen die Tonnen, ein drittes Fuhrwerk war der Leichenwagen, ein schwarzer Kastenwagen mit seitlichen Glasfronten, die mit silbern schimmernden Gardinen verhängt waren. An den vier Ecken des Wagenkastens waren Kandelaber aufgesteckt, in welchen Kerzen brannten. Totengräber Waal saß mit einem Helfer auf dem Bock und kutschierte seine traurige Fuhre dem Friedhof zu. Ein weiteres Fuhrwerk gehörte dem Bauern Sattelmayer, der mit seinem Ochsengespann den Oberen Stadtweg hinunterzockelte, um auf seinen Wiesen hinter dem Schlaugraben nach dem Rechten zu sehen. Hörte man das Gerumpel der Fuhrwerke, wurde genau beobachtet, ob nicht eines der Tiere in der Nähe des Hauses etwas fallen ließ. Der Dung war ja heiß begehrt!
Kuhfladen wurden verständlicherweise erst abgetragen, wenn sich ihre Konsistenz etwas verfestigt hatte und das konnte je nach Wetterlage dauern. Aber Pferdeäpfel! Unsere Tante rief: „Ich glaube, der Kohlenhans ist vorbeigefahren. Schaut mal, ob ihr nicht ein paar Pferdeäpfel findet. Nehmt gleich Schaufel und Eimer mit!“
Dann sausten Dietmar und ich los und suchten die Straße ab. Wenn man sich dabei aber zu weit vom Haus entfernte, wurde man sofort von den Besitzern der nächsten Anwesen, die auch schon auf Pferdeäpfel warteten, vertrieben:
„Ja, warum meint‘s ihr, dass wir hier stehen? Schleicht‘s euch mit eure Eimer, das ist unser Straßenabschnitt! Die hier anfallenden Rossbollen gehören uns!“
Wenn wir mit leerem Eimer zurückkamen, schmollte Tante Rosa und sann angestrengt nach, wie sie trotzdem zu ihrem Dung kommen könnte. Eines Tages hatte sie wohl die Idee!
„Dietmar und Winfried, für euch habe ich eine schöne Aufgabe. Ihr müsst mir aus der Jauchegrube hinter dem Haus eine Regentonne mit Gülle füllen und in den Garten hinüberfahren. Der Herr Schuster hat euch den langen Schöpfer schon hingestellt. Er leiht euch auch seinen Leiterwagen. Als Lohn mache ich euch heute zum Mittagessen Dampfnudeln mit Heidelbeerkompott!“ Das waren tolle Aussichten nach dieser anrüchigen Arbeit. Die Tante brauchte keine weiteren Worte verlieren und konnte mit unserer Einsatzbereitschaft rechnen.
Neben der Güllegrube stand schon der Wagen bereit. Er hatte eine lange Deichsel, die mit der beweglichen Vorderachse in Verbindung stand. Damit konnte man ganz prima lenken. Der Wagen hatte aber keine Seitenwände sondern nur eine stabile Bodenplatte. Wir stellten die leere Tonne darauf und achteten dabei, dass sie zur Stabilisierung schön mittig stand. Dann hob Dietmar den Deckel der Grube ab und grässlicher Gestank erfüllte den Hinterhof.
Der Schöpfer war an einem langen Stiel befestigt. Dietmar stocherte in der Grube herum und Fäkalien tauchten auf. Dann schöpfte er Jauche ab und kippte sie vorsichtig in die Tonne, damit keiner einen Spritzer abbekam. Als die Tonne voll war, schoben wir den Deckel der Grube zu, wuschen mit der Gießkanne den Schöpfer sauber und zogen unser Gefährt vorsichtig zur gegenüberliegenden Straßenseite vor Strohmayers Haus.
Als wir den Wagen nach links einschlugen und etwas ruckartig anfuhren, kippte die Jauchetonne zur Seite. Ihr Inhalt ergoss sich auf den Gehweg. Jauche, Fäkalien und Toilettenpapier “zierten“ Strohmayers Gartenzaun.
„Sauerei!“ schrien wir gleichzeitig und stellten die Tonne zurück auf den Wagen. Durch unser Geschrei und den Gestank herausgelockt kam Oma Strohmayer schon angehumpelt. „Ja, Buaba, dös kann ma fei it so lossa, dös stinkt ja barbarisch, Bua, do wenn der Gendarm kommt!“ rief sie entsetzt und fuchtelte aufgeregt mit dem Krückstock. Also holten wir Gießkannen und Besen und stellten erst mal Oma Strohmayer zufrieden. Dann nahmen wir den nächsten Anlauf, um die Tonne abzufüllen. Hausherr Schuster schaute auch nach uns und brummte: „So langsam könnt’s ihr aber scho aufhöra mit euerm G‘schtank!“
Das wollten wir ja gerne, verschlossen die Grube und fuhren mit dem Karren äußerst vorsichtig zum Garten hinüber. Wir hatten die Tücken dieses Gefährtes begriffen. Jetzt konnte nichts mehr passieren. Dietmar sperrte das Gartentürchen auf und wir zogen den Wagen über eine kleine Schwelle hinein: Plumps, mit Getöse rutschte die Tonne hinter uns vom Wagen und ergoss sich im Eingangsbereich auf die Wiese! Wieder nichts! Schweinerei! Da blieb uns nichts anderes übrig, als einen dritten Anlauf zu nehmen, um Tante Rosas Auftrag zu erfüllen. „Wo wart ihr denn so lange?“ fragte Tante Rosa, „braucht man zum Abfüllen einer Jauchetonne zwei Stunden?“ „Wir schon“, gaben wir einstimmig zur Antwort und wuschen uns gründlich.
(Weitere Geschichten von Winfried
Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)