„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 22. Die Horex |
Nach einer Heimatkundeprobe verkündete Herr Hauptlehrer ganz bedeutungsvoll: „Alle, die in der Probe eine Eins haben dürfen morgen nach der Schule mit mir in den “Hollstadel“ gehen und meine Regina anschauen!“ Als er merkte, dass wir ihn fragend ansahen ergänzte er: „Ich weiß nicht, was ihr jetzt denkt, aber, die Regina, das ist mein Motorrad, eine Horex 350 ccm!“ Jetzt war alles klar. Die Maschine war über den Winter im Stadel eingemottet. Am nächsten Tag trotteten die auserwählten Schüler mit ihrem Lehrer hinüber zum Holl. Schon das Öffnen des Stadels vollzog er so feierlich, dass man meinen konnte, das Tor vom Stall zu Bethlehem würde aufgetan. Da stand sie nun vor uns, seine “Regina“! Alles war verchromt und blitzte im Sonnenlicht. Der Tank, die Lenkstange, die Schutzbleche und sogar die Motorabdeckung. Wahnsinn!Wir bestaunten andächtig dieses Wunderwerk der Technik. „Langt’s mer nix a,“ ermahnte er uns, „sonst hab i’ die Tapper auf der ganzen Maschine und muss stundenlang polieren, bis i’ sie wieder sauber hab’!“ Zur Belohnung, weil wir nichts berührten, startete er das Motorrad sogar für uns. Da es keinen elektrischen Anlasser hatte, musste er es im Schweiße seines Angesichts antreten. Das dauerte, war sie doch schon Monate lang nicht mehr in Betrieb. Endlich sprang sie an. Der Auspuff stieß eine scharf riechende weißblaue Wolke aus, die sich nur langsam aus dem Stadel verzog, der Motor machte einen Höllenlärm. Herr Hauptlehrer erklärte, dass diese Maschine einen wunderbaren Klang habe, ja Musik für die Ohren sei, wenn man sie losorgeln ließ. Dann drehte er am Gaszug und der Motor brüllte auf.Ich fand auch, dass die Horex besser klingt als die Orgel der St. Nikolaus Kirche, wenn Herr Hauptlehrer sich dort abmühte, ihr einige wohlklingende Akkorde zu entlocken. Ja, die Horex, das war Musik, das war der feine Unterschied!Am nächsten Tag berichteten wir unseren Mitschülern begeistert von unserem Besuch bei der “Horex Regina“. „Die glänzt wie ein mit Silberkugeln geschmückter Christbaum und hat einen tollen Klang.“ Herr Stiegele hörte im Hintergrund unseren begeisterten Erzählungen zu und versprach, nach der nächsten Probe wieder die Pforten seines Heiligtums öffnen zu wollen. Als ich dann wissen wollte, ob es nicht möglich sei, dass der Schreiber des besten Aufsatzes vielleicht als Preis einmal auf der Horex mitfahren dürfte, entgegnete er ganz bedeutungsvoll: „ Mei Bua, das geht leider nicht. Wie du vielleicht gesehen hast, hat meine “Regina“ nur einen Sattel. Sie ist eine echte Solomaschine!“. Daheim schwärmten alle Augenzeugen von der silberglänzenden Solomaschine, deren Motor orgelte.Und richtig, an einem sonnigen Maitag, wir hatten das Küchenfenster zur Straße hin geöffnet, hörte ich von draußen ein wunderbares Orgeln. Ich stürzte zum Fenster: Es war der Herr Hauptlehrer, der auf seiner Horex den Oberen Stadtweg hinunter orgelte!Meine Mutter meinte zu diesem Schauspiel: „Vielleicht wäre es besser, dein Herr Hauptlehrer würde sein Orgeln auf das Motorrad beschränken und dafür die Orgel von St. Nikolaus verschonen!“ Ich fand diesen Vergleich sehr hart und war sicher, dass Herr Hauptlehrer auf beiden gut orgelte. Auf unseren Herrn Hauptlehrer ließ ich eben nichts kommen! (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)