„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955). 27. Berufswünsche


27. BerufswünscheEigentlich wollte ich immer Straßenbahnfahrer oder Lokführer werden, weil ich mir nichts Schöneres vorstellen konnte, als herumzufahren. Herumgelaufen war ich in meinen ersten Kinderjahren schon relativ viel, hatten wir weder Fahrrad noch Auto noch das Geld für die Straßenbahn zur Verfügung. Ein Erlebnis veränderte meine bisherigen Berufserwartungen aber total: Der Besuch des neuen Augsburger Bischofs in der St. Michaelskirche! Im Frühjahr 1949 verstarb Bischof Joseph Kumpfmüller, zum Nachfolger wurde ein Theologieprofessor aus Passau ernannt, Dr. Joseph Freundorfer. Der neu geweihte Bischof besuchte noch im selben Jahr alle Augsburger Pfarreien und da waren auch die Neustadtberger dabei. Der bischöfliche Kammerdiener kam schon ein paar Tage vor dem Besuch in die Kirche, um einen geeigneten Standort für den zu errichtenden Bischofsthron auszumachen. Dieser hatte einen Himmel aus rotem Brokat, die Seitenteile und die Rückwand waren ebenfalls aus rotem Stoff, die Sitzfläche und die Rückenlehne waren mit dunkelrotem Samt bezogen. Ein Prachtexemplar, dieser Bischofsthron! Ich war beeindruckt! Noch sprktakulärer war der Einzug des Bischofs unter heftigem Orgelspiel von Schwester Benonia. Der Kammerdiener schritt feierlich hinter dem in rot eingekleideten Bischof her und trug eine lange Schleppe. Am Altar angekommen wurde diese zusammengerollt und an den roten Mantel des Bischofs angeheftet. Anschließend nahm man ihm den Mantel ab. Nun kam der rote Talar des hohen Herren zum Vorschein. Der Bischof legte die Gewänder zur Messe an, Albe, Stola, Messgewand, Ministranten brachten ihm den Bischofsstab und die Mitra. In vollem Ornat nahm der Bischof auf seinem Thron Platz um die freudige Begrüßung durch Herrn Expositus Hintermeier entgegen zu nehmen. Die ganze Kleiderzeremonie wurde von der Gemeinde singend mit dem Lied: „Lobe den Herren..“ begleitet. Dem neuen Bischof hat das Lied sicher sehr gut getan: Er saß ganz entrückt unter seinem himmlischen Baldachin und lächelte milde. Ich hatte das ganze Schauspiel genau beobachtet und war mir sicher, dass Lokomotivführer doch nichts für mich sei. Bischof, das könnte ich mir gut vorstellen: Festlich auf dem Thron sitzen und von den Leuten mit „Lobe den Herren“ begrüßt werden, das wär‘s.Nach dem Gottesdienst lief die Kleiderzeremonie rückwärts ab, der Bischof legte die Messgewänder ab und bekam vom Kammerdiener den roten Mantel mit Schleppe umgehängt. Diese wurde wieder ausgerollt und der Bischof zog segnend aus der Kirche aus, den Kammerdiener im Schlepptau.Das mit dem roten Thron und dem Kammerdiener ließ mich nicht mehr zur Ruhe kommen. Daheim wollte ich zur Festigung meines neuen Berufswunsches unbedingt Genaueres über das bischöfliche Leben erfahren. Nach dem Auftritt war ich davon überzeugt, dass der Herr Bischof daheim standesgemäß über einen roten Toilettenthron mit samtener Klobrille verfügt. Diesen Ünterschied zum gemeinen Kirchenvolk müsste es doch geben. Außerdem war ich mir sicher, dass der Kammerdiener für seinen Herrn die Frühstückssemmeln holen würde. Schließlich kann doch so ein hoher Herr nicht im roten Talar zum Bäcker gehen. Das mit dem roten Toilettenthron schloss meine Mutter sofort lachend aus, das Semmelhohlen durch den Kammerdiener hielt sie ebenfalls für sehr unwahrscheinlich. „Der Herr Bischof hat sicher eine Haushälterin, die wird das für ihn erledigen.“ „Da geht es dem Bischof daheim so ähnlich wie uns“, meinte ich kleinlaut. „Nicht ganz,“ meinte Mutter, „vor der Toilettentür des Bischofs gibt es sicher keinen Stau wie bei uns, wo bei acht Leuten immer einer auf‘s Klo muss.“ Daraufhin meinte ich: „Dann bleibe ich dabei und werde doch Lokführer!“ (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)