„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 2. Das erste Schuljahr 1947/48

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 2. Das erste Schuljahr 1947/48


② Das erste Schuljahr 1947/48Aller Anfang ist schwer – das weiß jeder Erstklässler. Wir erfuhren das auch recht schnell, denn unser Klassenzimmer im alten Hitler-Jugendheim an der Schubertstraße verfügte nur über einen großen Raum mit langen Schulbänken,an denen links und rechts vom Gang wenigstens 6 Kinder auf Klappsitzen Platz fanden. Die Tischplatte war aus einem Stück und hatte eine Rinne als Ablage für Griffel, Federhalter und Bleistifte, die eingelassenen Tintenfässchen waren zwar mit Tinte gefüllt, interessierten uns aber noch nicht, weil wir nur mit dem Griffel auf die Schiefertafel schreiben durften. Die Garderoben wie die Toiletten befanden sich im Eingangsbereich. Standen die Türen der Toiletten offen, – und das war bei dem großen Andrang nicht zu verhindern, roch unser Schulhaus wie eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Immerhin wurden die beiden ersten Klassen zeitweise gemeinsam unterrichtet, das hieß, es waren an die 80 Buben und Mädchen im Raum.Es gab aber auch Schichtunterricht, dann waren wir Buben allein mit unserer Lehrerin, Frau Rossmann.Frau Rossmann, Kriegerwitwe und Mutter von drei Söhnen, – ihr Mann wurde von den Nazis in Irsee umgebracht, liebte klare Anweisungen, die unbedingt befolgt werden mussten: „Griffel in die Rinne, Hände auf die Bank!“ Wenn wir Buben dennoch Zeit fanden, herumzutändeln, kam eine verschärfte Anweisung: “Hände auf die Bank, Griffel auf den Handrücken legen!“ Fiel der Griffel herunter, hatte man nicht nur plötzlich mehrere Griffelstückchen am Boden liegen, man konnte auch damit rechnen, dass man eine Tatze mit dem Rohrstock auf die Finger bekam und das war ganz schön schmerzhaft.Trotzdem liebten wir unsere Lehrerin. Sie konnte wunderbar erzählen, malte schöne Bilder an die Tafel und verstand, unser Gemüt anzusprechen. Wie nebenbei lernten wir das Lesen und Schreiben, dazu eine Menge Lieder und Gedichte. Wir gingen gerne zur Schule und taten alles, um unserer Lehrerin zu gefallen.In manchen Schulstunden, wenn alle 80 Kinder im Raum waren, wurde es lebhafter und Frau Rossmann hatte alle Hände voll zu tun, für die nötige Arbeitsruhe zu sorgen. Ließ sich diese nicht herstellen, hieß es: „ Alles liegen lassen, heraustreten, jetzt gibt es Tatzen!“ Das bedeutete, man trat einfach aus seiner Bankreihe links heraus, stellte sich im Mittelgang an und schob sich langsam nach vorne, um die angedrohte Tatze zu empfangen. Anschließend trat man wieder von der anderen Bankseite her in seine Reihe ein. Die ganze Geschichte spielte sich aber sehr geräuschvoll und mitunter höchst dramatisch ab. Manche Kinder weinten schon auf dem Weg zur Lehrerin, andere zeigten sich standhaft und versuchten durch das Wegziehen der Hand der Strafe zu entgehen. Das machte unsere Lehrerin sehr wütend. Sie schimpfte:„ Strecke endlich deine Hand richtig her und zapple nicht herum, sonst treffe ich nicht richtig!“ Wer da noch mit der Hand zuckte, konnte schon mal einen Schlag auf den Handrücken abbekommen. Das war aber bei Weitem nicht so schmerzhaft, wie wenn man an den Fingerkuppen getroffen wurden. Dies steigerte den Schmerz und somit das Gebrüll der Delinquenten. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis alle dran waren und sich wieder beruhigt hatten.Den Mädchen widerfuhr hier übrigens eine Gleichbehandlung. Niemand wurde geschont, auch die sogenannten „braven“ Kinder nicht, die sich in jeder Klasse finden lassen…. Ich selbst bekam in den ersten zwei Schuljahren insgesamt fünf Tatzen in der beschriebenen Ausgabeform. Daheim regte sich darüber niemand auf. Es hieß: „Du wirst dir die Tatze schon verdient haben.“ Dann wird es wohl so gewesen sein.(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Bote)