Geschichten aus der Geschichte: Historisches aus Stadtbergen … von Alfred Hausmann: 1528: Leitershofer als Ketzer hingerichtet

Geschichten aus der Geschichte: Historisches aus Stadtbergen … von Alfred Hausmann:
1528: Leitershofer als Ketzer hingerichtet


Wer bei einem Gang durch Leiterhofen am Unteren Schloss, Schlossstraße 55 (bis zur Eingemeindung und Unbennung der Straße HS-Nr. 12) vorbei kommt, kann an der Nordwand eine von Efeu umrankte Tafel entdecken. Im Jahr 1904 hat sie der damalige Besitzer Fritz Eber anbringen lassen. Der interessierte Betrachter liest:
„Dieses Gut war Eigenthum des Eitel Hans Langenmantel, eines Angehörigen des längst erloschenen Patriziergeschlechtes der Langenmantel vom Sparren: Nachdem derselbe den größten Theil seines Lebens auswärts ein Landsknechtsleben geführt, betheiligte er sich, 1525 in die Heimath zurückgekehrt, an den theologischen Streitigkeiten jener Zeit. Zuerst begeisterter Anhänger Zwinglis, trat er 1527 in das Lager der Wiedertäufer. Bei der grausamen Verfolgung der letzteren wurde er von dem Hauptmann des Schwäbischen Bundes hier aufgegriffen, nach Weißenhorn geschleppt und dort im Mai 1528 enthauptet.“
Abgesehen von der Legende des Landsknechtsleben in der Fremde, die auf eine Verwechslung mit einem jüngeren Namensvetter zurück geht, sind das Schicksal des Täufers und sein Leben treffend zusammengefasst. Was ist über die knappen Informationen einer Gedenktafel hinaus über Eitelhans Langenmantel bekannt?
Eitelhans entstammte einem der ältesten und angesehensten Augburger Patriziergeschlechter. Als Fernhändler und Finanziers hatten es die Langenmantels vom Sparren zu beträchtlichem Reichtum gebracht. Bis 1548 stellten sie zehn Stadtpfleger (Bürgermeister) und liegen damit an der Spitze aller Ratsfamilien. Noch heute gibt es zwei Stiftungen, die auf sie zurück gehen. In ihrem Besitz waren die Ortschaften Zusmarshausen, Langerringen, Radau, Hainhofen, Binswangen u.a. Auch Eitelhans zahlte zwischen 1500 und 1527 als Augsburger Bürger beträchtliche Steuern. Um ca. 1480 soll er in Leiterhofen geboren sein. Genaueres lässt sich nicht sagen, da die Kirchenbücher nicht so weit zurück reichen.
Um diese Zeit – 1517 hatte Luther seine Thesen angeschlagen – trieben religiöse Fragen das gesamte Volk um, selbst das einfache, das nicht lesen und schreiben konnte. Unser Patrizierssohn hatte, wie wir von der Tafel wissen, seinen Standpunkt gefunden; er war ein Anhänger des Züricher Reformators Huldreich Zwingli. Damit gehörte er zu dieser Zeit in Augsburg zur Mehrheit. Spätestens seit 1527 galt die Stadt als „zwinglianisch“. Es waren besonders die Armen und die Angehörigen der Zünfte, die Zwinglis Lehre annahmen. Die wohlhabenden Bürger der Oberstadt bei St. Anna hielten zu Luther. In den Lechvorstädten und der Jakober-Vorstadt aber strömte man in die Barfüßerkirche, wo populäre Pediger wie der Franziskaner Johannes Schilling durch religiöse und auch sozialrevolutionäre Ideen die Geister erregten. Die „Habenits“, die keine Steuern zahlten und 1526 ganze 54 % der Augsburger ausmachten, hörten es gern, wenn von der Kanzel gegen die Mächtigen und Besitzenden gewettert und das baldige Ende ihrer Herrschaft angekündigt wurde. Als Schilling 1524 vom Rat aus der Stadt verwiesen wurde, brachte eben das den Aufstand. Stundenlang wurde das Rathaus von 2000 empörten Bürgern belagert. Die Domherrn und auch Jakob Fugger verließen die Stadt, weil sie um ihre Sicherheit fürchteten. Der Bischof hielt sich ohnehin in Dillingen auf.
Als „linker“ Flügel der Reformation bildeten sich die Täufergemeinden heraus. Sie traten aber in Augsburg nicht umstürzlerisch auf, sondern wollten die religiöse Erneuerung weiter voran treiben. Die Kindertaufe verwarfen sie; getauft werden sollten nur gläubige Erwachsene in freier Entscheidung. Die seit Konstantin herrschende Lehre der Einheit von Staat und Kirche als „Leib Christi“ lehnten sie ab und traten – ihrer Zeit weit voraus – für Glaubensfreiheit und staatliche Nichteinmischung ein. Die Täufer pflegten einen urchristlichen Kommunismus. Wer Besitz hatte, teilte ihn mit den armen Brüdern. Ihre soziale Zusammensetzung entsprach dennoch ziemlich genau der der Augsburger Bürgerschaft. Ihre Zahl soll in Augburg kurzzeitig etwa 1000 betragen haben.
In der Folgezeit tauchte mehrmals der Täuferwanderprediger Hans Hut für einige Tage in Augsburg auf. Hut hatte sich im Bauernkrieg Thomas Münzer angeschlossen, erkannte aber dessen Befürwortung der Gewalt als Irrweg. Er war überzeugt vom bevorstehenden Weltgericht, das die Obrigkeit richten und die Auserwählten verschonen werde. Als Täufermissionar war Hut in Mittel- und Süddeutschland unterwegs und gründete und organisierte unermüdlich neue Gemeinden. In Augsburg ließen sich zu Fastnacht 1527 Eitelhans Langenmantel und andere von ihm taufen.
Von der städtischen Obrigkeit wurden diese Aktivitäten argwöhnisch beobachtet, doch ging man zunächst noch nicht gegen sie vor. Langenmantel wurde zwar im März 1527 für einige Tage gefangen gehalten und verhört, weil er drei Schriften zur Abendmahlsfrage herausgegeben hatte, in denen er gegen die Lutheraner als die „Neuen Papisten“ polemisierte. Nach eindringlichen Verwarnungen wurde er wieder freigelassen. Aber lange währte die Freiheit nicht.
Im August trafen sich etwa 60 Vertreter der Täufergemeinden aus der Schweiz und Süddeutschland in Augsburg zu einer Synode. Augsburg war zu einem dritten Zentrum der Täuferbewegung geworden, neben Zürich und Straßburg.
Doch nach dem Treffen schritt der Rat gegen ihre „Umtriebe“ ein. Im Oktober 1527 verkündete er einen öffentlichen „Beruf“, durch den jede Unterstützung der Täufer oder Teilnahme an ihren „Rottierungen“ verboten wurde. Es war mehr die Angst, die Täufer könnten die bestehende Ordung gefährden, die die Rathsherren antrieb, weniger religiöser Dogmatismus. Um so rigoroser ging man vor. Etwa 60 Täufer wurden festgenommen, darunter alle führenden Leute der Augsburger Gemeinde und auch Hans Hut. Er wurde schwer gefoltert und starb unmittelbar danach unter ungeklärten Umständen durch einen Schwelbrand in seinem Verlies. Noch der Tote wurde verurteilt, die Verbrennung des Leichnams angeordnet, seine Asche in die Wertach gestreut.
Zunächst konnte die Täuferbewegung nicht aufgelöst werden. Viele Augsburger Täufer zogen sich in die umliegenden Dörfer zurück; in Göggingen, Bobingen und Täfertingen entstanden neue Gemeinden, von auswärts kamen neue Anhänger in die Stadt.
Mitte September wurde auch Langenmantel gefangen genommen und unter der Folter befragt. Bürgermeister Rehlinger und lutherische Prediger versuchten ihn zur Trennung von den Täuferlehren zu bewegen. Wahrscheinlich erreichten sie ihr Ziel, denn Langenmantel wurde mit anderen Brüdern nur der Stadt verwiesen. Zuerst versteckte er sich in Göggingen im Haus des Täufers Laux Lang, eines Bruders des Kardinals und Erzbischofs von Salzburg. Doch sicher konnte ein Täufer in diesen Tagen nirgendwo sein. Bis zu 1000 Mann des Schwäbischen Bundes suchten in den Dörfern nach den „Aufrührern“. Anfang 1528 war Langenmantel in Langenneufnach, danach in verschiedenen Orten in den Westlichen Wäldern und dann in Leiterhofen, wo seit einem Jahr das Untere Schloss in seinem Besitz war. (Das heutige Schloss ist allerdings der zweite Nachfolgebau des ältesten Schlosses aus dem 13. Jahrhundert.)
Nach einem kurzen Aufenthalt in Augsburg kehrte er wieder nach Leiterhofen zurück. Dort wurde er am 24. April von einer Patrouille im Schloss aufgegriffen. Mit ihm führte man zwei Täufer aus Leiterhofen, sowie seine Magd und seinen Knecht ab. Sie wurden nach Weißenhorn geschafft, wo Langenmantel an drei Tagen, teilweise unter Folter, verhört wurde. Das Urteil brachte ihm nicht den Tod des Ketzers durch Verbrennen sondern den „gnädigen“ Tod durch das Schwert. Wahrscheinlich gelang es, ihm einen Widerruf abzupressen. Am 11. Mai wurden die drei Männer durch den Memminger Scharfrichter gerichtet, die Magd wurde ertränkt.
Eitelhans Langenmantel war auf Grund seiner Herkunft die angesehenste Persönlichkeit der Augsburger Täuferszene und für diese ein Gewinn. Er konnte der Gruppe anfangs Gastfreundschaft und finanzielle Unterstützung bieten, war gebildet und vielfältig begabt.
Die Gedenktafel am Leiterhofer Schlösschen ist die einzige öffentliche Erinnerung an die Augsburger Täufergeschichte.
Die Täufersynode von 1527 wird in der Täuferliteratur (z. B. Mennonitisches Lexikon) als Märtyrersynode bezeichnet, da die meisten Teilnehmer hingerichtet oder schwer misshandelt wurden. Im Mai und Juni 1528 erreichten die Verfolgungen in Augsburg ihren Höhepunkt. 44 Menschen wurden als Täufer, meist mit Ruten, aus der Stadt gejagt, 40 in die Kerker geworfen, sechs Täufern brannte man das Ketzerzeichen in die Wangen, darunter „fünf schöne Weiber“, zwei Männern und einer Frau wurden die Zungen ausgeschnitten, vier – darunter Langenmantel – enthauptet. In einem Märtyrerverzeichnis der Täufer von 1530 sind unter Augsburg zwölf Hinrichtungen mit Wasser, Feuer und Schwert genannt. In Passau waren es 14, in Linz 25 Opfer.
Nach den Verfolgungen waren die Täufer meist hoffnungs- und orientierungslos. Ab 1540 sammelte der ehemalige katholische Priester Menno Simons die friedlichen Anhänger in den Niederlanden und Norddeutschland und baute neue Gemeinden auf. Nach ihm nennen sie sich Mennoniten. Heute gibt es ca. 580 000 Mennoniten weltweit, besonders in Nord- und Südamerika und früher auch in Russland. In Augsburg besteht seit 1926 eine kleine Gemeinde.