Wuchtige Weltliteratur sinnlich in Szene gesetzt: Stefan Schön liest Dostojewskis „Großinquisitor“ im Bürgersaal

Wuchtige Weltliteratur sinnlich in Szene gesetzt: Stefan Schön liest Dostojewskis „Großinquisitor“ im Bürgersaal

Ein dunkler, langgezogener Cello-Ton kündigte unheilvoll das schwere Sujet der Erzählung „Der Großinquisitor“ von F.M. Dostojewski an. Und in der Tat war es nicht unbedingt ein leichtes Stück Literatur, zu welchem in das Foyer des Stadtberger Bürgersaals eingeladen wurde. Doch der Regisseur Stefan Schön verstand es mit seiner einnehmenden Stimme, aus einem komplexen Klassiker eine angenehme Abendunterhaltung zu gestalten. Die Geschichte stammte aus dem Meisterwerk „Die Brüder Karamasow“ und beginnt mit nichts Geringerem als der Wiederkehr Jesu Christi auf die Erde mitten in der grausamen Zeit der Inquisition. Der Messias wird vom Großinquisitor verhaftet und zur Rede gestellt. Was folgt, ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit altem Glauben und neuen Götzen, mit universeller Freiheit und individuellen Freiheitszwängen. Der besondere Reiz der atmosphärischen Lesung entfaltete sich aus dem vollendeten Zusammenwirken der Erzählers und seiner musikalischen Begleitung. Mit ruhigen, fast schon dissonanten Klängen unterstrich Amelie Riegel die dramatischen Textpassagen und verstärkte die thematischen Abschnitte oder gar einzelne Worte in ihren emotionaler Wirkung auf die Gäste: War etwa vom „Schatten“ die Rede, strich der Bogen tiefe Tonlagen an, während sich die Klanglinien beim Ausdruck des „Unheils“ lautstark ins Unruhige vortasteten. Der Vorleser gab der Cellistin zwischen den Kapiteln genügend Raum für musikalische Interpretationen, um anschließend mit ausladenden Gesten und dramatischer Mimik wieder den Prosatext in den Vordergrund zu heben. Das harmonische Verschmelzen von Saitenklang und Stimme vermochte es, selbst solch anspruchsvolle Weltliteratur zu einem spannenden Erlebnis werden zu lassen. Ob man den Philosophien des russischen Klassikers oder den Gleichnissen Jesu in all ihrer Komplexität folgen konnte, war an diesem wirkungsvollen Abend nur von nebensächlicher Bedeutung. Stefan Schön und Amelie Riegel haben mit dieser Veranstaltung eine anmutige Atmosphäre geschaffen, wobei Jeder seine eigenen Gedanken und Gefühle mit nach Hause nehmen durften. Diese kunstvolle Lesung zeigte zudem einen Einblick in die Gedankenwelt eines großen Schriftstellers und war in jedem Falle ein kultureller Genuss für die Sinne.

 Text: Thomas Hack / Bilder: Daniela Ziegler