Tod aus dem Hinterhalt: Blutiges Kriegsende in Stadtbergen vor 68 Jahren von Thomas Werthefrongel
Zum 68. Mal jährt sich im April für Augsburg das Ende des 2. Weltkrieges. Nachdem am 1. März 1945 nochmals ein Bomberverband die Industriestadt angegriffen hatte, bei dem allein in Stadtbergen 23 Todesopfer gezählt wurden, nahmen ab Anfang April Tiefflieger einzelne Ziele der Region ins Visier. Am 10. April kostete der Angriff eines Jagdbombers auf einen Personenzug bei Aystetten 34 Menschen das Leben.
Am 22. April 1945 schließlich hatten starke Verbände der 7. US-Armee bei Höchstädt und Dillingen die Donau überquert und rückten über Wertingen auf verschiedenen Wegen gegen Augsburg vor. Salven von Störfeuer aus ihren Geschützen vorausschickend, wollten die Amerikaner jeden Gedanken an Widerstand brechen. Schließlich konnte am 28. April die „Gauhauptstadt“ nach fieberhaft geführten Verhandlungen kampflos übergeben werden.
Wie aber erlebten in Stadtbergen die Bewohner den Einmarsch amerikanischer Soldaten ?
Es war ein Zufall, der mich darauf brachte, mich mit diesem Thema zu beschäftigen und mich schließlich auf ein tragisches Ereignis aufmerksam machte: Bei Internetrecherchen stieß ich im Frühjahr 2011 auf ein Sterbebildchen. Gewidmet ist es dem Unteroffizier Georg Meier, Gastwirtsohn aus Hackerskofen (Landkreis Dingolfing); gefallen am 28. April 1945 in Stadtbergen bei Augsburg im Alter von 25 Jahren.
Neugierig geworden forschte ich weiter und erfuhr, dass noch ein weiterer Soldat, der Unteroffizier Franz Hogger, geboren 1908 in Siegsdorf (Landkreis Traunstein), an diesem Tag auf Stadtberger Flur sein Leben gelassen hatte. Der lapidare Eintrag im Register des Standesamtes lautet: „Gefallen im Gefecht mit Feindtruppen“.
Könnte es sein, dass diese jungen Männer im Gefecht umkamen? Sinnloser, für die Bevölkerung unter Umständen tödlicher Widerstand gegen eine heranrollende Militärmacht?
Das war kaum vorstellbar, hatten doch die alliierten Truppen über ganz Deutschland mit Flugblättern vor Widerstand gewarnt und an die Einwohner und Soldaten in den noch nicht besetzten Teilen Bayerns in deutscher Sprache appelliert: „Die Rohre zahlloser Geschütze sind auf Eure Gemeinden gerichtet [ …].Es wäre Wahnsinn, der amerikanischen Übermacht jetzt noch Widerstand entgegenzusetzen. […] In Euren Städten und Ortschaften gibt es nach der fast vollständigen Besetzung Deutschlands nur eine einzige Politik der Selbsterhaltung: Die weiße Fahne hissen!“
Zwar vermerkt auch die Stadtberger Ortschronik für den 28. April den Tod zweier Wehrmachtsoldaten. Über Kampfhandlungen oder die näheren Umsta?nde, unter denen diese Männer ihr Leben verloren, ist aber auch dort nichts zu erfahren.
Die Zahl der Zeitzeugen, die aus diesen von Auflösung, Unsicherheit, aber auch Erleichterung und dem Gefühl der Befreiung geprägten Tagen berichten können, schwindet. Es hat daher schon als Glücksfall zu gelten, dass ich den Sohn eines der Soldaten ermitteln konnte und von ihm Auskunft erhielt. Das Gefühl des Verlustes und die Trauer über den frühen Tod des Vaters sind für diesen Mann bis heute gegenwärtig. Näheres konnte aber auch er mir nicht mitteilen.
Mehr über das Schicksal von Georg Meier und Franz Hogger zu erfahren – diese Aussichten schienen mir zu diesem Zeitpunkt dürftiger denn je.
Dass ich schließlich nach längerem Befragen älterer Stadtberger Einwohner ins Gespräch mit Herrn Adolf Kreysa (Deuringen) kam, der damals mit seinen Eltern im 1. Stock des Hauses Oberer Stadtweg 68 wohnte, war eine glückliche Fügung. Ihm verdanke ich folgenden Bericht:
Am Samstag, den 28.4.1945 rollten die ersten US-Panzer durch den Oberen Stadtweg in Stadtbergen. Das bedeutete für mich (ich war damals 16 Jahre alt) „der Krieg ist aus“.
In der Nacht zum Sonntag, den 29.4.45 so gegen 6.00 Uhr früh (es wurde schon etwas hell) hörte ich Motorengeheul und laute fremdartige Stimmen. In den nächsten Minuten drangen bewaffnete Soldaten in unser Haus (Oberer Stadtweg 68) ein und besetzten alle Zimmer. Ich befand mich gerade in unserer Küche im 1. Stock, als ein Amerikaner mich zu Seite stieß, die Verdunkelung vom Fenster riss, die Läden öffnete, den Tisch zum Fenster schob, sich darauf legte und mit seinem Karabiner im Anschlag gegen Osten sicherte.
Ich verharrte ängstlich in einer Ecke und plötzlich gab dieser Besatzer zwei Schüsse ab und ich hörte noch einen röchelnden Schrei. Der Schütze verließ die Küche, nahm mich mit nach unten und schubste mich in die untere Wohnung im Erdgeschoss. Alsdann verschwand er nach draußen.
Im ganzen Haus waren Amerikaner und allmählich verstand ich verschiedene englische Worte. Nachdem ich im Gymnasium schon sechs Jahre Englisch hatte, konnte ich mich mit diesen Soldaten – auf Befragen – schon etwas verständigen. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sie mir nichts Übles antun wollten.
Ich musste Ihnen dann noch anhand einer Landkarte Verschiedenes erklären. Nun begleitete mich ein Amerikaner in den Keller, wo sich bereits meine Mutter und mein kleiner Bruder befanden.
Es waren ca. 3 Stunden vergangen. Es wurde ruhig im Haus, eine geheimnisvolle Stille umgab uns. Ich ging nach oben und schaute in den Garten, der ziemlich vertrampelt war und stellte fest, alle Amerikaner waren abgezogen. Plötzlich sah ich vor unserem Gartenzaun einen Toten in deutscher Wehrmachtsuniform liegen. Er lag mit dem Kopf nach unten, so dass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte.
In diesem Moment war ich dermaßen geschockt und war nicht in der Lage, etwas zu tun. Gegen Mittag wurde die Leiche (von unbekannt) weggeschafft. Ich hörte dann später, dass der Leichnam noch für einige Tage in einer Garage in der Richard-Wagner-Straße abgelegt war. So habe ich das Kriegsende 1945 hautnah mitbekommen und dieses traurige Erlebnis lässt mich bis heute nicht los.“
Ob es sich bei dem Toten um den 25jährigen Georg Meier oder den 37jährigen Familienvater Franz Hogger handelte und unter welchen Umständen der zweite Soldat starb, wird sich wohl nie mehr klären lassen. Warum entgegen der Zeugenaussage der Todestag beider Männer auf den 28. April datiert ist; auch darüber kann man nur Vermutungen anstellen.
Im Dunkeln bleibt vorerst auch, welcher Einheit die beiden Soldaten angehörten und ob sie vielleicht zuletzt im nahe gelegenen Pferseer Kasernenkomplex untergebracht waren. Warum sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht längst ihrer Uniform entledigt hatten und wie viele ihrer Kameraden in einem der Stadtberger Keller oder Dachböden versteckt hielten, auch das bleibt rätselhaft.
„Den Schlaugraben hätte man hier ebenerdig überqueren können“; randvoll mit Ausrüstung und Uniformteilen sei er gewesen, berichtete mir ein Zeitzeuge, dessen elterlicher Hof an der Leitershofer Strasse lag.
Aufschlußreich ist allerdings der 1946 von Franz Fehn verfasste Bericht über den „Sperrenschwerpunkt Augsburg“. Fehn, Generalmajor und Stadtkommandant der Wehrmacht hatte in den letzten Kriegstagen die Verteidigung Augsburgs angeordnet. Er skizziert darin eine von ihm angeordnete westliche Verteidigungslinie gegen die anrückenden Amerikaner, deren Eckpunkte auch durch Leitershofen und Stadtbergen führen. Das mag erklären, warum für den 28. April noch von relativ viel Wehrmachtsangehörigen in Stadtbergen berichtet wird.
Die Toten wurden, teilweise erst geraume Zeit nach Kriegsende, in ihre ober- und niederbayrischen Heimatorte überführt.
Sie waren die letzten Opfer auf einer langen, über 200 Namen führenden Liste von Soldaten und Zivilisten, die im Zweiten Weltkrieg starben und mit Stadtbergen in Verbindung standen.