„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)


15. FeindeDie Aufteilung Stadtbergens in Alt- und Neustadtbergen wurde nicht nur nach Pfarrgemeinden vollzogen, sie war auch in den Köpfen der Stadtberger einzementiert. Die Grenzstraße von Süd nach Nord verlief auf der Höhe der Sonnenstraße.Die Altstadtberger fühlten sich als die Ureinwohner und waren durch ihre Geburt schon ausgezeichnet. Auch ihre Kinder waren durch Altstadtberger Abstammung etwas Besonderes. Man hatte einfach mehr Anspruch auf die wunderbare Heimat. Die Neustadtberger waren in ihren Augen nur Zugereiste, die aus Gnad und Barmherzigkeit sich in der Nähe der Altstadtberger aufhalten durften. „Wenn mei Papa euch keinen Baugrund verkoft hätte, dann wärt’s ihr bis heute noch keine Stadtberger!“ so prahlten Altstadtberger Schulkinder.Altstadtberger verkaufen ihren Grund grundsätzlich zuerst nur an Altstadtberger, damit kein Stückchen Heimat verloren geht. Diese Regel wurde, wenn möglich in den ersten Nachkriegsjahren streng beachtet. Neustadtberger zu sein war fast so schlimm wie evangelisch zu sein. Der Altstadtberger war seit eh und je katholisch und duldete daher die Evangelischen höchstens als Minderheit.Auch bei uns Kindern führte die Spaltung Stadtbergens unwillkürlich zu Spannungen, ja sogar zu Feindschaften. Ich selbst hatte als Altstadtberger einen “Feind“ in Neustadtbergen, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Er war größer und stärker als ich und hatte einen kantigen Schädel mit kurzen blonden Haaren. Von der Schule war er mir auch nicht bekannt. Vielleicht ging er ja nach Pfersee, ich wusste es nicht. Kaum radelte ich in der Nähe des Stadtberger Hofes herum, entlarvte er mich als Altstadtberger und teilte mir mit, ich befände mich hier auf Neustadtberger Gebiet, auf dem ich, wenn ich keine Watschen wolle, nichts zu suchen hätte. Diese Meldung bekräftigte er, indem er mich vom Fahrrad warf und mit seinen Stiefeln in mein Rad trat.Wie sollte ich aber in Zukunft zum Ministrieren nach Maria Hilf gelangen? Die Kirche lag doch im Zentrum Neustadtbergens. Wenn ich in Zukunft meinen “Feind“ aus der Ferne sah, fuhr ich gleich einen Umweg, um so einer Konfrontation zu entgehen. Bemerkte er meinen Fluchtversuch, schrie er hinter mir her: „Warte nur, dich derwisch’ ich schon noch und dann gibt’s Schelln!“Mein “Feind“ wurde zum echten Alb für mich. Ich sann immer wieder nach, wie ich ihm doch noch einen Denkzettel verpassen könnte. Und – eines Tages war es so weit: Mein Freund Friedmann, er war auch Ministrant in Maria Hilf und ein echter Neustadtberger, fuhr mit mir in der Tram auf der hinteren Plattform des Anhängers vom Gymnasium nach Hause. Friedemann musste am Stadtberger Hof aussteigen, ich durfte noch zur nächsten Haltestelle Schlossstraße weiterfahren.Als die Tram den Stadtberger Hof erreichte, sah ich meinen “Feind“ an der an der Haltestelle herumlungern. „He, Friedemann, da steht mein Feind, von dem ich dir erzählt habe. Kennst du ihn?“ „Nein, noch nie gesehen!“ antwortete Friedemann. „Um so besser. Wenn du ausgestiegen bist, gehst du zu ihm hin und haust ihm eine gescheite Watschen rein und sagst einen schönen Gruß vom Winfried!“Friedemann tat, um was ich ihn gebeten hatte. Während sich meine Straßenbahn langsam von der Haltestelle entfernte sah ich, dass Friedemann seine Schultasche vor meinem “Feind“ abstellte und ihm aus heiterem Himmel eine reinschlug. Mein “Feind“ packte daraufhin Friedemann und warf ihn in die Buchenhecke. Je weiter sich die Tram vom Tatort entfernte, desto klarer wurde mir, dass Friedemann chancenlos war. „Du Arsch,“ schimpfte Friedemann am nächsten Morgen stocksauer. Dein “Feind“ war ja viel stärker als ich. Das nächste Mal schlägst du ihn selber!“ Das tat ich dann auch, musste dazu aber zu einer List greifen.:Als ich wieder einmal zur Abendmesse in Maria Hilf mit dem Rad unterwegs war, sah ich meinen “Feind“ an der Straßenkreuzung Bismarckstraße-Südstraße stehen. Ich beschleunigte und gab ein Handzeichen, als ob ich von der Bismarckstraße in die Südstraße einbiegen wollte, ließ aber meine Hand ausgestreckt und fuhr geradeaus weiter. Damit hatte mein “Feind“ nicht gerechnet. Ich versetzte ihm einen solchen Schlag, dass er das Gleichgewicht verlor und hinfiel. „Das war für Friedemann!“ rief ich ihm zu und radelte vergnügt zur Kirche. Die Siegesfreude raubte mir meine ganze Andacht!(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)