„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 36. Der Schulrat kommt

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 36. Der Schulrat kommt


Eines Tages kam unser Fräulein besonders hübsch zur Schule. Sie hatte sich neue Dauerwellen machen lassen, sogar etwas Rouge auf ihre Lippen aufgetragen und roch wie die Veilchen am Rande der Thujahecke in unserem Hof. Zudem ging sie unruhig vor der Tafel auf und ab und schaute dabei immer wieder zur Türe, als ob sie jemanden erwartete.An uns gewandt meinte sie dann: „Kinder, es kann sein, dass wir heute hohen Besuch bekommen. Vielleicht kommt heute der Herrn Schulrat. Seid ja brav und benehmt euch, verstanden!“ Wir hatten verstanden. Für unsere Lehrerin würden wir das Letzte geben, das war doch klar! Inzwischen steckte Herr Stiegele, unser Schulleiter den Kopf zur Tür herein und fragte: „Na, Frau Kollegin, ist alles in Ordnung? Er ist im Haus und kommt gleich zu ihnen!“ Und schon wieder öffnete sich die Klassenzimmertüre und ein kleiner, untersetzter Herr mit ganz wenig Haaren auf dem Kopf trat ein. „Guten Morgen, Kinder, lasst euch von mir nicht stören. Mein Name ist Lampart. Ich bin Schulrat und will mal sehen, was ihr bei eurem Fräulein Winter schon alles gelernt habt!“ Dann nahm er in der letzten Bank Platz und zog einen Schreibblock aus seiner Aktentasche heraus. Diese Bank wurde bei uns zwar “Eselsbank“ genannt, blieb aber immer frei, weil unser Fräulein keine Esel unterrichten wollte. Wir ließen uns durch den Herrn Schulrat nicht stören, denn gelernt hatten wir bei unserer Lehrerin sehr viel, daran gab es keinen Zweifel. Wir meldeten uns fleißig und arbeiteten aufmerksam mit. Sogar jene Mitschüler, die nur selten durch gelungene Beiträge auffielen, wollten unbedingt drankommen und ihre Erkenntnisse mitteilen. Dies wusste Fräulein Winter aber zu verhindern. Bei einem Mitschüler aber, der sich andauernd meldete gab sie nach, doch der musste nur zur Toilette. Als uns der Herr Schulrat nach zwei Stunden verließ, meinte er: „Ihr habt ganz ausgezeichnet mitgearbeitet! Man soll gar nicht glauben, dass es in Stadtbergen so gescheite Kinder gibt.“ Da waren wir alle mächtig stolz, Stadtberger zu sein und Fräulein Winter stieg vor lauter Verlegenheit die Röte ins Gesicht. Es hatte wohl eben erst erfahren, dass wir so gescheit sind. Auf jeden Fall reagierte unsere Lehrerin auf diese Meldung umgehend: „Ihr habt heute keine Hausaufgaben!“ Da waren wir ganz sicher, dass der Herr Schulrat unser Fräulein voll überzeugt hatte. (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)