„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 18. Messdiener leben gefährlich

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)18. Messdiener leben gefährlich


18. Messdiener leben gefährlichSchon bald nach der Einweihung der Kirche Maria Hilf im Advent 1953 meldeten sich mein Bruder Dietmar und ich als Ministranten an. Wir wollten unbedingt in der neuen Kirche etwas zu tun haben, nachdem ja meine Tante und die beiden großen Brüder bereits im Kirchenchor sangen. Nach einer Einweisung wurden wir in den Kreis der Messdiener aufgenommen.Damals wurden die verschiedenen Antworten und das Schuldbekenntnis in der lateinischen Sprache gesprochen. Daher überprüfte Pfarrer Hintermeier unsere Kenntnisse. Wenn wir den Inhalt der Antworten auch nicht verstanden, aussprechen sollten wir das Kirchenlatein wenigstens richtig. War dies gewährleistet, gab uns der Pfarrer zum Altardienst frei. Ab sofort wurde von uns einiges abverlangt, z. B: Vorbeten beim täglichen Rosenkranz oder Frühmessdienst an Werktagen um sieben Uhr. Um noch rechtzeitig zur Schule zu kommen, musste man sich anschließend schnell auf‘s Fahrrad schwingen. Sehr begehrt waren die Fahrten zu Beerdigungen, denn Pfarrer Hintermeier hatte kein Auto und ließ sich sogar zum Westfriedhof mit dem Taxi chauffieren. Das war Vergnügen pur für uns. Außerdem bekam man für den Dienst bei Beerdigungen oder Hochzeiten 50 Pfennige. Da fühlten wir uns schon wohlhabend, war doch das monatliche Taschengeld auf eine Mark begrenzt.Im Advent und in der Fastenzeit wurde die Pfarrjugend zu einer wöchentlich stattfindenden Frühmesse um 6.00 Uhr in die Kirche eingeladen. Dietmar und ich waren öfters zum Ministrieren eingeteilt. Das machte uns nicht allzu viel aus, denn unter den Gottesdienstbesuchern waren ein paar nette Mädchen, denen wir mit unserem heroischen Einsatz gefallen wollten. Da unsere Kirche an Wochentagen ungeheizt blieb, mussten wir uns entsprechend warm kleiden. Wir zogen die Ministrantengewänder gleich über die Anoraks an. Das tat unserer Schönheit keinen Abbruch dachten wir, obwohl wir durch unseren Auftritt unter dem jungen Kirchenvolk Heiterkeit auslösten. Wie ausgestopfte Prälaten zogen wir vor unserem sehr schlanken Herrn Pfarrer in die Kirche ein. Pfarrer Hintermeier litt an der Parkinson‘schen Krankheit. Schon Ende der vierziger Jahre gab es dafür deutliche Anzeichen: Die Daumen zitterten, wenn er die Arme zum Gebet ausbreitete. Wir meinten damals, das wäre ein besonderes Zeichen der Andacht und übernahmen das Zittern beim Messespielen, bis unsere Mutter durch ein klärendes Wort dem Treiben ein Ende setzte. Da Herr Pfarrer aus gesundheitlichen Gründen weder kalten Messwein noch kaltes Wasser trank, wurden die beiden Kännchen in einem Warmhaltekästchen untergebracht, in welchem eine leuchtende 25 Watt Glühbirne für eine angenehme Trinktemperatur sorgte. Das Kästchen stand auf einem kleinen Tischchen rechts vom Altar und war mit einem roten Tuch bis zum Boden hinunter umhüllt. Bruder Dietmar überließ es mir, Wein und Wasser bei der Gabenbereitung zum Altar zu bringen. Das war nichts Ungewöhnliches, da wir diesen Dienst immer wieder tauschten und heute war ich mal dran. Ich nahm also die beiden mit Wein und Wasser gefüllten Kännchen aus dem Kästchen und wollte damit die Altarstufen hinauf. Doch was war das! Es knirschte und krachte hinter mir. Die Ösen meiner Skischuhe hatten sich im Saum der Tischverkleidung verfangen, schon beim ersten Schritt zog ich das Tischchen hinter mir her. Bruder Dietmar stürzte sich geistesgegenwärtig darauf und hielt es fest. Durch diese Bremseinwirkung gestoppt stürzte ich nach vorne und lag der Länge nach die Altarstufen hinauf, die beiden Kännchen dabei in die Luft streckend.Dieses Ereignis riss die müden Kirchenbesucher aus ihrem Schlaf, tosendes Gelächter schallte durch die kalte Kirche. Endlich war hier was los!Bruder Dietmar befreite meinen Schuh aus der Tischverkleidung, ich rap-pelte mich hoch und brachte die Kännchen zum Altar. Bei dem Sturz hatte ich mir nicht weh getan, dazu war ich zu sehr ausgestopft. Pfarrer Hintermeier aber, in dessen Gesicht ich ein kurzes Lächeln zu erkennen glaubte fragte: „Hosch was zammag‘schütt?“ Ich schüttelte verneinend den Kopf und der fromme Mann setzte ungerührt seine heilige Handlung fort. Ja, in der katholischen Kirche ist man von so vielen Martyrern umgeben, da konnte man bei so einem Sturz wirklich keine Anteilname erwarten. Nach dem Gottesdienst meinte eines der von uns verehrten Mädchen zu Bruder Dietmar anerkennend: „Ich hab‘s genau g‘seha, du schosch dei‘m Bruder das Leben gerettet. Wenn du des Tischle mit dem Heizöfele net g‘halta hättsch, dann hätt‘s d‘ Winfried derschlaga!“ Dietmar war ganz verlegen wegen des Lobes und meinte: „Des hätt‘ doch jeder g‘macht!“ Auf dem Weg zur Straßenbahn kam mir Bruder Dietmar auf einmal viel größer vor.(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)