„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955): 16. Wohltaten können ganz schön belastend sein

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)16. Wohltaten können ganz schön belastend sein


16. Wohltaten können ganz schön belastend seinFür unsere Mutter war es sehr schwierig, alle vier Buben mit passenden Kleidungsstücken zu versorgen. Immer war gerade einer aus einem Teil herausgewachsen, der nachfolgende Bruder konnte aber das Kleidungsstück nicht auftragen, weil es bereits zerschlissen war.Als jüngster von vier Buben hatte einerseits das Glück, dass niemand mehr meine Hosen abtragen musste. So brauchte ich keine Vorsicht mehr walten zu lassen. Andererseits hatte ich das Pech, dass ich in der Regel die Sachen der älteren Brüder auftragen durfte, was mich ziemlich wurmte.Wenn die Mutter für Bruder Dietmar, der zwei Jahre älter als ich ist eine ordentliche Hose ergatterte, dann wurde er von mir gebeten, gut darauf aufzupassen, damit ich sie einigermaßen ansehnlich übernehmen könnte. Dietmar versprach es, hielt aber mit dem guten Vorsatz nicht lange durch, was der Hose sehr abträglich war.Die Sommermonate waren kleidertechnisch nicht so problematisch. Wir trugen unsere kurzen Lederhosen, dazu ein von unserer Tante selbst geschneidertes Hemd und fertig. Kam man mit der Lederhose in den Regen, wurde sie nach dem Trocknen starr und hart. Das hatte den Vorteil, dass man sie beim zu Bett Gehen neben das Bett stellen konnte. Die Wintermonate warfen größere Probleme auf. Woher Anoraks oder Mäntel herkriegen?Einmal kam die Mutter kurz vor Weihnachten ganz glücklich nach Hause. Sie war auf dem Heimweg von der Schule am Pfarrhof von St. Michael in Pferrsee ausgestiegen und hatte dort von der Pfarrhaushälterin erfahren, dass ein Wintermantel in meiner Größe abgegeben worden sei. Ich solle am nächsten Adventssonntag nach der Messe in den Pfarrhof zum Probieren kommen. Vielleicht wäre ich dann an Weihnachten fein heraußen. Gleich am folgenden Sonntag betrat ich erwartungsfroh das Pfarrhaus. Als ich aber den Mantel auf dem Bügel hängen sah, blieb mit der Mund vor Schreck offen stehen. Soll ich mit so einem Teil im Winter herumlaufen? Der Mantel war in Glockenform geschnitten, oben eng und unten weit, hatte ein grobes Fischgrätmuster mit großen Knöpfen versehen und dazu nach links geknöpft, war also ein Mädchenmantel! „Lieber sterbe ich den Kältetod, als dass ich mit diesem Mantel auf die Straße gehe!“ protestierte ich lautstark. „Ich könnte damit höchstens beim Weihnachtsspiel als Maria auftreten! Da spiele ich einen armen Hirten und der kommt zum Glück ohne Glockenmantel aus!“Trotz aller Proteste musste ich den Mantel anprobieren. Mit Engelszungen redeten die Pfarrhaushälterin und meine Mutter auf mich ein, wie wunderbar warm das wertvolle Stück sei und wie gut mir der Mantel stehe. Ich glaubte von alledem kein Wort und behauptete, ich sähe damit wie ein Mädchen aus und müsste so zum Gespött herumlaufen! Trotzdem bestand meine Mutter darauf, ich sollte den Mantel gleich für den Heimweg anlassen. Als ich mit ihr vor die Pfarrhoftür hinaustrat kam eine Bekannte auf uns zu und meinte: „Ach, der Winfried wäre sicher ein hübsches Mädchen geworden, so wie er in diesem Mantel aussieht!“Diese Äußerung traf mich wie ein Hieb. Mir wurde siedend heiß. „Siehst du, was hab’ ich gesagt, wie ein Mädchen!“ fauchte ich. Meine Mutter zuckte kurz zusammen: „Wir haben den Mantel gerade geschenkt bekommen, leider gab es keinen für Buben.“ „Das trifft sich ja wunderbar,“ meinte die Bekannte, „ mein Paul ist aus seiner Winterjacke herausgewachsen und meine Lisbeth bräuchte dringend einen Wintermantel!“Die beiden Frauen waren sich schnell handelseinig und verabredeten den Tausch.Ich erhielt eine ganz brauchbare Winterjacke mit seltsam großen Knöpfen. Bei genauerer Untersuchung stellte ich fest, dass jemand die Knopflöcher geändert hatte, also aus einer Mädchenjacke eine für Buben gemacht hatte. „Irgendwas mit Mädchen muss bei mir doch immer dabei sein!“ murrte ich vor mich hin. Mir war da gleich mein weißer Mädchenschulranzen eingefallen, der mir meinen Schulanfang verpatzt hatte. Insgesamt war ich aber mit der Jacke zufrieden und zog damit an Weihnachten stolz in die Kirche ein. (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)