„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)


1. Mein SchulranzenSchulanfang ist heute ein familiäres Großereignis. Mama, Papa Oma und Opa, oft auch noch die Paten begleiten den mit Schultüte und einer wunderbaren Grundausstattung ausgerüsteten Schulanfänger zur Schule um zu überwachen, dass ja kein Kratzer an das Kind kommt. Anschließend geht man mit dem Kind aus, damit alles zu einem unvergesslichen Erlebnis wird.Beim Schulanfang 1947 war alles etwas anders und dennoch unvergesslich:Ich freute mich natürlich auf die Schule, war ich doch das letzte Familienmitglied, das in das Leben hinaustreten sollte. Meine drei Brüder waren schon erfahrene Schüler und erzählten mir immer wieder von den Freuden und Leiden eines Schülerlebens. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass da etwas Negatives sein könnte, aber sie meinten: „Wart’s ab. du wirst schon sehen!“ Ich selbst war schon ganz aufgeregt und sammelte Stifte, alte Hefte und leere Blätter. Eines Tages kam meine Mutter mit einer Schiefertafel heim. Daran hing ein orangener Putzschwamm. Ich war selig und suchte nach meiner Griffelschachtel, die mir einer meiner Brüder überlassen hatte. Darinnen fanden sich ein paar abgebrochene Griffel, solche von der harten Sorte. Die sogenannten „Buttergriffel,“ also weiche, sollten noch rechtzeitig gekauft werden. Natürlich nervte ich die Mutter mit meiner Dauerfrage: „Mama, wann bekomme ich endlich meinen Schulranzen? Der Gerhard und der Egon haben ihren schon.“ „Nur langsam, es ist ja erst Juli. Da haben wir noch Zeit.“ meinte sie gelassen. Und ich glaubte ihr. Schließlich hatte sie schon dreimal Erfahrungen mit Schulanfängern gesammelt. Das musste reichen….Die Sommerferien verbrachten wir wieder in der Bodenseegegend. Der bevorstehende Schulanfang trat in den Hintergrund. Als wir Ende August heimkamen meinte Mutter: „Es ist höchste Zeit, dass wir deinen Schulranzen kaufen“ und fuhr gleich in die Stadt. Sie wurde von mir sehnsüchtig erwartet. „Und, wie sieht er aus?“ wollte ich wissen. Mutter wurde verlegen: „Er sieht gar nicht aus, ich habe heute noch keinen bekommen. Morgen klappere ich noch die anderen Geschäfte ab, wir haben ja noch drei Tage Zeit.“ Inzwischen stolzierten meine Freunde daheim mit dem Schulranzen vor dem Spiegel auf und ab und bewunderten sich mit ihren wunderbar schwarz oder dunkelbraun lackierten Pappkartonkisten mit großer Verschlussklappe und viel Platz, etwas hineinzustecken. Sie übten schon mal das Packen und ich durfte zuschauen. Da konnte man vor Neid nur erblassen. Am vorletzten Ferientag brachte Mutter eine wunderbare Griffelschachtel mit – vom Schulranzen wieder keine Spur.So langsam schien sie wegen ihres Misserfolges auch unruhig zu werden und versprach mir, dass ich zum ersten Schultag auf jeden Fall meinen Schulranzen haben werde, koste es , was es wolle. So konnte ich den letzten Ferientag kaum erwarten. Als sie an diesem Mittag aus der Stadt zurückkam, trug sie ein dickes Paket unter dem Arm. Mein Schulranzen!. Gleich wollte ich ihr das Paket entreißen, da merkte ich, dass Mutter eher bedrückt als glücklich aussah. Sie meinte: „Du, wir haben nur noch diesen Schulranzen bekommen.“ Ich zerrte ihn hastig aus der Verpackung. Aber, was kam zum Vorschein? Ein Mädchenschulranzen, ein weißer Mädchenschulranzen! Die Verschlussklappe war nur halb so groß wie der von den Bubenranzen, dazu waren die Riemen über die Rückseite des Ranzens gekreuzt. Da konnte jeder auf 100 m sehen, dass ich einen Mädchenschulranzen trug! Meine Enttäuschung war riesengroß. Untröstlich packte ich alle Habseligkeiten ein und warf den Ranzen in das Eck. Es war mir auch kein Trost, dass dieser Schulranzen nur ein Ersatzranzen sein sollte, bis die Bubenranzen wieder zur Verfügung standen.Am ersten Schultag erregte ich wie keiner meiner Freunde Aufsehen. „Der Muck hat a Mädlaschultasch! Uija.“ Da half auch nicht, dass ich meinen Freunden von unserem Missgeschick erzählte. Sie fanden, dass ich doof aussähe und gaben mir den Rat, ich solle auf dem Heimweg ja mit den Mädchen laufen. Mit einem wie mit mir könne man sich nicht sehen lassen. Ein Glück, dass mein Schulweg sehr kurz war, von der Schubertstraße zum Oberen Stadtweg! So hielt sich die Pein zeitlich in Grenzen. Zu Weihnachten 1947 bekam ich endlich meinen Bubenranzen aus schwarz lackiertem Karton, einfach toll. Die Leidenszeit war vorbei!(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Bote)