„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)


25. Endlich bei den “Großen“Zu Beginn des Schuljahres 1949/50 durften wir vom alten HJ-Heim in der Schubertstraße in das Schulhaus bei der Kirche St. Nikolaus hinaufziehen. Dort waren alle Klassen ab der dritten Jahrgangsstufe untergebracht. Somit gehörten wir endlich zu den “Großen“! Der neue Schulweg meiner Freunde Egon und Gerhard, genannt “Noge“ und “Haktus“ führte an unserem Haus vorbei. Deshalb hatten wir einen Lockruf vereinbart, mit welchem sie mich jeden Morgen beim Abholen rufen wollten.Meine zwei großen Brüder besuchten bereits das Gymnasium und fuhren schon kurz nach sieben Uhr in die Stadt. Dietmar hatte seinen eigenen Freundeskreis, mit welchem er den Schulweg teilte. Er war ja schließlich zwei Jahre älter als ich und nicht unbedingt scharf darauf, mit dem kleinen Bruder zu laufen.Ich selbst konnte bis zwanzig vor acht Uhr frühstücken. Wenn dann vor dem Haus der Ruf: „Handividi!“ ertönte, antwortete ich sofort mit: „Wadiwadi!“ Allein wegen dieser Signalsprache wären wir heute dem Schulpsychologen vorgestellt worden. Bei uns sagten die Nachbarn höchstens: „Da rufen sie sich wieder, die Deppen!“ Mit einer solchen Ansicht konnte ich leben, war der Lockruf doch einmalig, weil er nur mir gelten konnte! Ich ließ auf jeden Fall alles liegen uns stehen, packte meinen Schulranzen und den Schulspeisungskübel mit Löffel und stürzte die Treppen hinunter zu den wartenden Freunden. Der gemeinsame Schulweg führte den Oberen Stadtweg hinauf an den Speckerhäusern vorbei. Im ersten Haus wohnte die Besitzerin, die “Specker Nandl“ selbst, das zweite Haus war vermietet. Die “Specker Nandl“ wirkte mit ihren offen getragenen schwarzen Haaren, dem dunklen Damenbart und einer Warze auf der Nase sehr märchenhaft. Wenn sie lachte, sah man große Zahnlücken! “Nandl“ blickte fast jeden Morgen auf ein Kissen gestützt zusammen mit ihrem weißen Spitz aus dem Fenster des ersten Stockwerks und beobachtete das Treiben auf der Straße. An manchen Tagen blieben aber die Fensterläden zu. Dann jaulten und bellten wir so lange vor dem Haus, bis der Spitz wütend die Fensterläden mit der Schnauze aufwarf und zu uns herunter kläffte. Kurz darauf tauchte “Nandl“ mit offenem Haar im Nachthemd am Fenster auf, riss ihren Kläffer zurück und schimpfte mit ihrer dunklen Stimme hinter uns her: „So böse Kinder, tun nix, als mein Hund tratza!“ Wir aber waren mit dem von uns ausgelösten Schauspiel sehr zufrieden und stapften der Schule entgegen. 26. Ein Opfer für das neue FräuleinWir bekamen in der dritten Klasse Fräulein Winter als Lehrerin. Sie war jung und sehr freundlich. Wir Buben verehrten sie, ein jeder wollte ihr etwas Gutes tun und durch Fleiß und Zusatzaufgaben gefallen. Wir spürten: Unsere Lehrerin mag uns. Ihr zuliebe lernten wir so manches Gedicht oder schrieben Zusatzaufgaben. Im Herbst 1949 plante unsere Klasse einen Wandertag. Es war noch schön warm draußen. Deshalb wollte ich wie die meisten meiner Kameraden barfuß zur Schule gehen. Im morgendlichen Familientrubel kochte sich unsere Mutter auf einem kleinen Elektrokocher, der am Boden stand, Kaffeewasser. Es sprudelte gerade richtig, als ich versehentlich mit dem Fuß gegen den Kocher stieß und das Wasser sich über meinen Fuß ergoss. Sofort entstand eine riesige Brandblase am Knöchel! Natürlich wandte man alle Hausmittel an, um meinen Schmerz zu lindern. Es war aber sofort klar, dass ich am Wandertag nicht mehr teilnehmen konnte. „Winfried, der Wandertag ist für dich gelaufen,“ meinte unsere Mutter. „Hier hast du 10 Pfennige, damit kannst du dir beim Bäcker Baindl ein Eis kaufen. Es soll bei Schmerzen Wunder wirken.“ Sprach’s und verließ eilend das Haus, um selber noch rechtzeitig zur Schule zu kommen. Ich aber humpelte noch vor acht Uhr zu meinem Fräulein Winter, um meine Brandwunden vorzuführen. „Armer Bub, du bist aber sehr tapfer, mit so einer Brandwunde läufst du sogar noch zur Schule, um dich abzumelden.!“ sprach die Lehrerin voller Mitleid und Bewunderung. Ihrer Worte taten mir sehr gut. Ja, unser Fräulein war ja so nett! Als meine Klasse zum Wandertag aufbrach, zog ich los und holte mir das Trosteis beim Bäcker Baindl ab. Unsere Mutter hatte recht, es wirkte Wunder! (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)