Ganz gut zu merken: Vor 111 Jahren kamen Pfersee und Oberhausen im Doppelpack zu Augsburg.
Es war Liebe auf den zweiten Blick
Am 1. Januar 1911 – also vor 111 Jahren – war es soweit: Nach Siebenbrunn, das schon zum 1. Juli 1910 dazu kam, wurden jetzt auch Pfersee und Oberhausen Augsburger Stadtteile.
Etwas später trauten sich dann Lechhausen und Hochzoll. Diese eilten ab 1. Januar 1913 zur rot-grün-weißen Zirbelnussfahne und ab 1. Juli 1916 machte Kriegshaber das halbe Dutzend voll. Und dies alles ohne großes Klagen und Zähneklappern. Es waren die gähnend leeren Kassen der sechs Vorortgemeinden, die dieses doch etwas ungewöhnliche nachbarliche Geschehen diktierten.
So ganz herzlich willkommen waren die Pferseer und Oberhauser bei der allerehrwürdigsten Frau Nachbarin zumindest anfangs freilich nicht. Göggingen und Haunstetten hätte sie schon lieber gehabt. Doch die zickten noch bis 1972 herum. Und selbst da war die kommunale Luft ziemlich bleihaltig. . . Aber die Zurückhaltung Augsburgs weicht bald einer Liebe auf den zweiten Blick. Zu groß sind die strategischen Vorteile für die gesamtstädtische Entwicklung, auch wenn die Rechnung des zunächst etwas knickrigen Herrn Stadtkämmerers zunächst nicht aufgeht. Es waren die regen industriellen Aktivitäten in den beiden Orten – hervorgerufen durch günstige Bodenpreise – sowie die städtebaulichen Expansionsmöglichkeiten, die das territorial eingeengte Augsburg dazu brachten, dem Eingemeindungswunsch der beiden Nachbarinnen gleich im Doppelpack grünes Licht zu geben.
2500 Arbeiterinnen und Arbeiter verdienten in Pfersee ihre schmalen Brötchen
Die Welt der damaligen Vororte war natürlich nicht im Lot. Zwar rauchten die Schornsteine: in Oberhausen bei der Schuhfabrik Wessels, der Firma Keller & Knappich, der Weberei Landauer und beim Gaswerk mit insgesamt fast 2 000 Beschäftigten. Noch besser stand Pfersee da: mit der Laubsägen- und Uhrenfedernfabrik Eberle, der Spinnerei und Buntweberei, den Webereien Bemberg und Raff und der Mechanischen Weberei am Mühlbach. Etwa 2.500 Arbeiterinnen und Arbeiter verdienten dort ihre bestimmt nicht großen Brötchen. In beiden Orten war zu dem – wie damals überall in den Fabriken – die Kinderarbeit nichts außergewöhnliches. Und es zeigte sich auch ansonsten die Kehrseite der raschen Industrialisierung und der damit einhergehenden intensiven Bautätigkeit. In einem amtsärztlichen Bericht des Jahres 1910 kommt dies drastisch so zum Ausdruck: „Nach der letzten amtlichen Statistik steht Oberhausen hinsichtlich der Sterblichkeit – insbesondere der von Kindern – unter sämtlichen Gemeinden Bayerns an letzter Stelle“, wird dort recht schonungslos vorgetragen. Aus eigener Kraft konnte Oberhausen – mit damals immerhin schon 9.600 Einwohnern – die dem zu Grunde liegenden Trinkwasser- und Kanalisationsprobleme nie und nimmer lösen. Und ähnlich war die soziale und hygienische Situation in Pfersee.
Sorgenkind Wertach
Dieses entwickelte sich noch rasanter als Oberhausen. In der Zeit von 1870 – 1910 versechsfachte sich nahezu die Einwohnerzahl. Mit fast 11 000 überstieg sie die von Oberhausen merklich. Doch die in Pfersee ansässige konjunkturabhängige Textilindustrie führte immer wieder zu hohen Belastungen der örtlichen Armenkasse. Hinzu kam – wie im benachbarten Oberhausen – eine desolate Wasserversorgung und eine unzureichende Kanalisation. Ansonsten war die böse Wertach ein Sorgenkind der Pferseer. Immer wieder drang diese bei den Frühjahrshochwassern in den Ort ein.
Abhilfe konnte nur die Verlängerung des Gögginger Wertachkanals zum Holzbach schaffen, was aber die ?nanziellen Kräfte der Pferseer weit überstieg. Großer Widerstand war also weder in Oberhausen noch in Pfersee gegen eine „Einverleibung“ nach Augsburg zu verspüren. Und dass Augsburg seine Reserviertheit gegen einen freiwilligen Anschluss der beiden Industrievororte bald aufgab, war jedenfalls eine kluge und für die Zukunft der Stadt gute Entscheidung.
[Der Autor war Stadtdirektor und berufsmäßiger Stadtrat in Augsburg. Seine Doktorarbeit schrieb er über die Eingemeindungen nach Augsburg.]