Lustmord auf dem großen Exerzierplatz: Die „Neue Augsburger Zeitung“ berichtete 1905 vom Schrei der Entrüstung, der durch Pfersee hallt von Florian Fromm
„Das arme Opfer des schrecklichen Verbrechens wird morgen der Erde übergeben“, titelte am 5. Dezember 1905 die Neue Augsburger Zeitung. Und weiter: „Noch ist der Schrei der Entrüstung nicht verhallt“.
Ein abgeschnittenes Ohr, eine Mädchenleiche, blutige Hände… ein Abschnitt aus dem Film „The Blair Witch Project“? Nein, eine Begebenheit anno 1905 auf dem Weg von Pfersee nach Kriegshaber. Zwei junge Frauen, Rosa Refle, und ihre Schwester, waren auf dem Weg von Pfersee nach Kriegshaber, als ein junger Mann, Anton Englisch, plötzlich über Rosa Refle herfiel. Über den genauen Verlauf der Untat gibt es keine Aufzeichnungen, bekannt ist nur, dass durch das energische Eingreifen eines Herrn aus Stadtbergen, des Maschinenmeisters Hörmann, ein Doppelmord verhindert werden konnte.
Kühnes Eingreifen
Über das kühne Eingreifen des Stadtbergers berichtet die Neue Augsburger Zeitung: „Der Unhold flüchtete, als er die Annäherung des ersten Radfahrers bemerkte, in der Richtung nach Pfersee zu. Wenn sich auch noch ein zweiter Radfahrer anschloss, so hatte ihnen doch das Einholen des Mörders Schwierigkeiten bereitet, da es diesem gelungen war, einen Graben zu überspringen, wodurch er einen bedeutenden Vorsprung erreichte…“. Nach einer sehr genauen Beschreibung der Verfolgung, erfährt der geneigte Leser, dass der Mörder nochmals an den Tatort geführt wurde („unter genügender Bedeckung“), wo man ein blutiges Messer und ein menschliches abgeschnittenes Ohr fand. Frech leugnete der Gestellte die Tat, „obwohl vor allem seine blutigen Hände gegen ihn sprachen“. Bei der Gegenüberstellung soll er frech gelacht und auf den Boden gespuckt haben, worauf die umstehenden Menschen getobt hätten.
„Einen Zorn auf die Weiber“
Bei der Sektion der ermordeten Rosa Refle im Beisein des Untersuchungsrichters Landsgerichtsrat Dr. Hasinger, des 2. Staatsanwalts Dr. Fahrnbacher und des Landgerichtsarztes Dr. Utz ergaben sich 21 Stiche im Hals, an der Brust und an den Knien. „Der Unterleib war stellenweise mehr zerschnitten als zerstochen“ heißt es. Und: „Das linke Ohr war glatt am Kopf weggeschnitten.“ Später wurde der Mörder ins Leichenhaus gefahren. Er hat wohl die Tat gestanden, über die Hintergründe gab er jedoch nichts an. Er sagte nur, er habe – seit er von seiner Frau getrennt lebe – „einen Zorn auf die Weiber“. Die damalige Zeitung berichtete, dass der Mörder sich äußerst kalt und verschlossen zeigte. Bei Beisetzung der Rosalia Refle, „einer Schmiedmeisters Tochter,“ wie es auf ihrem Sterbebild lautet, steht geschrieben:
und auf dem Weg ein Kreuzlein
(die Baumgruppe) steht
da fand ein Mädchen früh ihr Grab
weil es für Gott sein Leben gab.
Zwei Schwestern gingen ganz allein
Des Schmied´s von Pfersee´s Töchterlein,
ihr Weg der war so ahnungsvoll,
aus ihrem Aug´ die Träne quoll.
Da plötzlich jemand vor ihr stand
Und sich sein Blick auf sie gewandt.
Der Mörder sprach: Nun sei bedacht,
dein Leben steht in meiner Macht.
Entweder Sünde oder Tod
Gewähr es dir in deiner Not.
Das Mädchen sprach: Nur Gott allein
Kann meiner Unschuld Retter sein.
Denn welcher mir das Leben gab
Dem bleib ich treu bis an mein Grab.
So war das damals: Grabreden in Gedichtform und Postkarten von der Tat. Es war damals Usus, Postkarten von besonderen Ereignissen zu verschicken – wie eben ein Mord. Mag makaber klingen, war aber damals so. Auch dass die Namen des Opfers, der Verwandten und auch des Mörders so explizit genannt wurden, war eine Modeerscheinung dieser Zeit. Wie heißt es doch so schön? Alles wiederholt sich? Bei der Betrachtung dieser Postkarte können wir darauf wohl gerne verzichten…