Besorgte Anrufe aus Augsburg: Nach ihrem Besuch in Leitershofen wieder zurück in Manhattan, erlebte unsere „New-York-Korrespondentin“ Marianne Hettinger dort den Sturm des Jahrhunderts:
Also, wir wurden alle hier in New York und Umgebung, schon viele Tage vorher gewarnt, dies werde der schlimmste Hurrikan in der Geschichte New Yorks. Man sprach von Stromausfall, Wasserausfall, Überflutungen etc. In den Tagen davor herrschte Riesen-Andrang auf die Lebensmittelgeschäfte – lange Schlangen um den Block. Ich habe viele Früchte und Konserven gekauft, die man nicht in den Kühlschrank tun muss, auch liebe ich ja Früchte.
Am letzten Sonntag dann war der Tag vor dem Sturm: Ich lebe auf der Upper West Side auf der 71. Strasse, im 2. Stock, in einer der besten Gegenden Manhattans, 4 Minuten zu Fuß vom Hudson Fluss entfernt und 5 Minuten von der Metropolitan Oper. Wir sind Gott sei Dank erhöht gelegen, so dass der Fluss, der zum Teil große Gebiete und U-Bahnen im unteren Teil Manhattans überflutet hat, uns nicht erreicht hat. Aber die Windböen! Die gingen schon am Sonntag los und ein Straßen Schild knallte auf einmal direkt vor mir auf den Gehsteig. Das Eigenartige war, dass es vorher windstill war. Die meisten fieberten dem Sturm entgegen, andere wiederum scherten sich nicht darum, und gingen noch zu Beginn des Sturms spazieren.
Ich ging noch zum Brunch, als es schon sehr windete. Nur einige Lokale waren noch offen, akzeptierten nur Barzahlung und verdienten gut, denn der Andrang war groß. Als ich dann Montag um 17 Uhr nach Hause kam, ging es schon los: der Wind heulte unheimlich, wie ich es noch nie gehört hatte. Meine Wohnung hat zwei große Fenster auf die Straße hinaus und der Druck war so stark, dass ich Angst hatte, sie würden zerspringen. Überall knallte es; gegenüber wird gerade ein 20-stöckiges Haus renoviert, und es flogen große Holzstücke auf die Straße und den Gehweg.
Kurz nachdem das passierte, sah ich einen Vater mit zwei kleinen Kindern an der Hand, vorbeispazieren. Wahnsinn, die Unverantwortlichkeit. Dann waren die Straßen ganz leer. Zum Teil unheimlich still, nur das Heulen des Windes, unterbrochen von Knallen und Krachen. Ein großes Stueck Zement zertrümmerte die Kühlerhaube des Luxus-“Hummer“, den mein Nachbar vor dem Haus geparkt hatte.
Ich bin einige Male, wenn der Wind besonders heulte, ins Badezimmer, das im Innersten des Hauses liegt, gerannt. Und ein paarmal habe ich mich auf den Boden gelegt.
Zwischendurch flackerte die Elektrizität. Die Straße, in der ich lebe, war eine der wenigen in ganz Manhattan, wo die Häuser den Strom behielten. Ich hatte den Fernseher laufen, wo über 24 Stunden nonstop berichtet wurde, ohne Werbeunterbrechungen!
Meine Eltern riefen mehrmals aus Augsburg besorgt an, denn bei meinem Bruder in Brooklyn war die Leitung tot. Es stellt sich aber heraus, dass er okay ist. Am Dienstag nach dem Hurrikan ging ich mit Nachbarn in meiner Gegend spazieren: überall Bäume, die entwurzelt oder halb durchgerissen waren, Häuserfassaden, die eingerissen waren, tote Voegel noch verkrümmt auf den Gehwegen liegend, und der Fluss war weit über die Ufer getreten und hatte alles Ziergras und Bänke und Café überspült. Das Café war 50 Meter weitergespült worden.
Die meisten meiner Freunde und Bekannten haben keine Elektrizität, unterhalb der 37. Straße keinen Strom, keine U-Bahnen; von vielen habe ich noch nichts gehört. Eine Bekannte hat ihr Haus verloren, es ist auf Staten Island abgebrannt, weil viele der Stromleitungen brannten.Überall türmen sich die Müllberge und man sieht mehr Ratten als sonst.
Hoboken, New Jersey, in der mein Ex-Mann Norbert Schramm lebt, ist sehr schlimm überflutet, die Leute sind evakuiert worden und schlafen mit Hunderten anderen auf Notpritschen in Lagerhallen. Ich habe nichts von ihm gehört.
Ich hatte vor, morgen meinen Dreh für meine neue Fernsehshow – eine „talk show‘ mit Gästen fürs deutsche Fernsehen anfangen zu drehen, aber meine Crew lebt in Staten Island und New Jersey und kann nicht kommen, kann also nichts stattfinden.
Zwei Schauspiel-Jobs und meine tägliche Arbeit, Tanz zu unterrichten, wurden abgesagt, denn es ist kein Strom in den Gegenden, was finanziell schwer zu verkraften ist und ich werde jetzt eben nicht bezahlt.
Es wird eine Weile dauen, bis alles wieder ‚normal‘ ist. Aber wie auch am 11. September 2001, den ich hier auch erlebt habe, helfen sich die Menschen gegenseitig und die Retter und Feuerwehrleute sind vielfach wirklich Helden.