„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 30. Endlich ein Fahrrad!

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 30. Endlich ein Fahrrad!


Wir Geschwister hatten alle kein Fahrrad. Aus der Vorkriegszeit konnte unsere Familie kein Rad herüberretten, weil unsere Eltern auch schon keines hatten. So war in unserem Keller viel Platz für Fahrräder. Nach dem Krieg konnte man kaum ein Rad kaufen, höchstens für etwas eintauschen. Wir hatten aber nichts zum Tauschen. Die Währungsreform im Juni 1948 ermöglichte zwar schon bald den Kauf eines Fahrrades, wenn man das nötige Geld dazu hatte. Da sah es bei uns schlecht aus. Drum hieß es: Schön weiterlaufen und sich in Geduld üben. Wenn ein Kind aus unserer Nachbarschaft den Oberen Stadtweg herunter radelte, dann wurde es mit neidischen Augen verfolgt. Da war zum Beispiel der Helmut, mit Spitznamen „Dutz“. Er war jünger als ich und viel kleiner. Trotzdem fuhr er ganz stolz mit einem alten Herrenfahrrad an mir vorbei. Da er noch nicht aufsitzen konnte, radelte er im Stehen und „geigte“ so vor mir auf und ab. Vor unserem Haus hatte sich vom letzten Regenschauer eine riesige Pfütze gebildet. Diese durchfuhr der „Dutz“ lachend, dass es nur so spritzte! Ich rief: „He, Helmut, lass mich auch mal fahren!“ „Nein, das darf ich nicht, meine Mama hat es mir verboten! Außerdem machst du mir nur das Rad kaputt, du windiger Anfänger!“ rief er mir zu. Das hätte Helmut nicht sagen sollen! Mein Neid war so angestachelt, dass ich ihm, als er an mir in Siegerpose vorbeifuhr, einen Schupfer gab. Dadurch verlor Helmut die Balance und stürzte mitten in der Pfütze. Patschnass richtete er sich mit seinem Rad auf und schrie: „Du Arsch, nie wieder darfst du mit meinem Rad fahren, nie wieder – und meiner Mama sag ich es auch!“ Ein paar Tage später war die Sache wieder vergessen und der „Dutz“ ließ mich sogar mit seinem Fahrrad üben.Das war auch gut für mich, denn schon bald brachte jemand bei uns ein altes Herrenfahrrad vorbei, mit Gesundheitslenker, ohne Licht, dafür aber mit einem Sprung am Rahmen in der Nähe des Tretlagers. Der Spender meinte, wenn man einen neuen Rahmen kaufen würde, dann könnte man damit ein wunderbares Fahrrad bauen.Inzwischen flatterte bei uns ein Katalog der Fahrradfabrik „Stricker“ aus Brackenwede-Bielefeld herein. Das Markenzeichen der Strickerräder war ein Pferd aus Aluminium auf dem vorderen Schutzblech. Man konnte sich relativ preiswert eine neues Rad schicken lassen, wenn das nötige Geld da war… .Eines Tages entschied sich meine Mutter ganz überraschend zum Kauf eines Strickerrades. Sie wollte damit zur Schule fahren. Auch meine Tante sollte ein Rad bekommen, um schneller in unseren Schrebergarten an der Deuringer – Straße zu gelangen. Ich sollte mir mit der Lieferung einen Rahmen zuschicken lassen. Mit Hilfe meiner Brüder könnte man dann ein vernünftiges und sehr preiswertes Fahrrad für mich zusammenbasteln. Ich kratzte meine bescheidenen Ersparnisse zusammen und trug so zur Finanzierung meines Rades bei. Endlich trafen die ersehnten Strickerräder in großen Kartonagen verpackt bei uns ein und die ganze Familie war im Hof damit beschäftigt, alle Teile fachgerecht zusammenzusetzen. Das gelang bei den zwei neuen Damenrädern problemlos, nur nicht bei meinem Umbau! Der alte Lenker wollte sich nicht in den neuen Rahmen stecken lassen, ebenso ließ sich des Tretlager nicht einfügen. Was half es! Notgedrungen musste ich mit Bruder Dietmar den Fahrradtorso zum Fahrradhändler in der Bauernstraße tragen, um ihn dort fachmännisch in ein richtiges Fahrrad verwandeln zu lassen. Ein Mitarbeiter des Fahrradhändlers hieß Umberto Spraga. Er war wohl Rumäniendeutscher und schimpfte, als wir ankamen los: „Die Strickerräder sein der greißte Dreck! Zuerst habt ihr alles kapott gemacht und dann kommt ihr zu mir ranjeschissen!“Spraga verstand aber sein Handwerk: Schon nach einer Woche war mein Rad abholbereit, mit sportlichem Lenker, neuem Tretlager und super Pedalen, einfach toll. Auch bei der Preisgestaltung kam er meinem schwachen Geldbeutel entgegen. Wir wurden auf jeden Fall bei Spraga Stammkunden….(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)