„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955): 3. Unterhosenparade

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955): 3. Unterhosenparade


3. UnterhosenparadeDas war eine seltsame Atmosphäre in unserem Schulsaal. Mütter und Väter warteten mit ihren frischgewaschenen Kindern auf die schulärztliche Untersuchung. Alle – Buben und Mädchen mussten sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Und was wir alles anhatten!Die meisten von uns trugen lange Strümpfe. Leibchen mit Strapsen sollten verhindern, dass die Strümpfe sich ständig abwärts rollten. Da die Untersuchung im Spätherbst stattfand, trugen wir dazu noch durchgehende Bodys , für uns Buben nach vorne mit Hosenfalle, nach hinten mit einer Klappe versehen, welche man beim Toilettengang abknöpfen und herunterrollen konnte. Wir saßen ziemlich hilflos herum, genierten uns vor den anderen, obwohl die auch nicht toller aussahen und warteten, dass man aufgerufen wurde.Auch die Eltern schienen von unserem Anblick nicht gerade begeistert zu sein. Der Vergleich des eigenen Kindes in Unterwäsche mit anderen Kindern fiel oft negativ aus, weil so manche Unterwäsche von einem Grauschleier durchzogen war und man sich deshalb genierte. Viele Kinder sahen in ihren Leibchen und Bodys mit Fallen so dämlich aus, dass manche Väter an ihre Zeugungskunst Fragen stellten. Die Untersuchung selbst ging sehr schnell vonstatten: Man wurde ans Pult gerufen, sagte laut „A“, während der Arzt mit einem Holzspatel im Hals herumfuhrwerkte. Dann waren die Ohren dran, anschließend wurde der Kopf nach Läusen abgesucht.Die Eltern sprachen immer sehr leise mit dem Arzt, obwohl er seine Fragen sehr laut stellte: „Hat ihr Kind Würmer? Was, haben sie nicht gesehen? Schauen Sie bitte genau nach und melden sie sich wieder bei uns. Da, das Rote zwischen den Fingern ist noch Krätze! Verwenden Sie bitte die verschriebene Salbe, bis sich ihr Kind nicht mehr kratzt!“ Wir Buben mussten husten und der Doktor griff uns dabei zwischen die Beine. Warum er das tat sagte er nicht, doch er nickte dabei sehr wissend. Das war’s dann.Da ich die Prozedur klaglos über mich ergehen ließ, durfte ich mir als Lohn daheim ein Stück trockenes Brot mit Apfelkompott bestreichen. Dieses hatte meine Tante gerade aus Falläpfeln gekocht und schmeckte wunderbar.Die übelriechende Krätzesalbe musste ich noch länger nehmen und auch einen roten Saft, der gegen Würmer helfen sollte. Aber wann waren diese Qualen endlich vorbei? Unsere Lehrerin wunderte sich nicht einmal, warum wir so unruhig auf unserem Hosenboden herumrutschten. Sie kannte den Grund dafür nur zu gut: Es war nicht die Hyperaktivität ihrer Schützlinge, auf die man heute sofort schließen würde, sondern einfach nur Würmer, die uns nicht zur Ruhe kommen ließen.(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)