„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)17. Messe spielen


17. Messe spielenDer sonntägliche Kirchgang nach St. Michael oder St. Nikolaus war für uns obligatorisch. Meine Mutter nahm uns Kinder einfach mit, da gab es weder Aus – noch Widerrede Wenn wir dann heimkamen, gab es Frühstück und dann setzten wir im Spiel den Gottesdienst fort. Ich weiß nicht mehr, von wem wir einen kleinen Hochaltar mit drehbarem Tabernakel und allem notwendigen Zubehör wie Leuchter, Kelch und Weihrauchfass bekommen haben. Auf jeden Fall stand dieser im Kinderzimmer auf einem Stuhl und diente uns zum Messespielen. Zwei Kännchen für Wein und Wasser holten wir aus dem Wohnzimmer-schrank. Es waren kleine Schnapsgläschen, für die bei uns zu dieser Zeit niemand Verwendung hatte. Als hl. Brot dienten uns Tante Rosas Backoblaten, die von der Weihnachtsbäckerei übrig geblieben waren. Zudem hatte die gute Tante für uns aus verschiedenen Stoffresten Messgewänder genäht. Damit sahen wir unheimlich feierlich aus.Jeder wollte gerne der Pfarrer sein, weil er dadurch über die Backoblaten verfügen durfte und so mancher Messfeier ging ein heftiger Streit voraus, wer denn heute der Pfarrer sei. Die anderen mussten sich mit der Rolle der Ministranten begnügen.Oft kam ich nicht darum herum, meinen Bruder Dietmar und unseren Freund Hans Jürgen zu bestechen, damit sie zum Ministrieren bereit waren. „Für drei Messen zahl’ ich euch ein Zehnerle und außerdem 3 Backoblaten bei jeder Kommunionspendung.“ Manchmal nahmen die beiden mein Angebot an. Es kam auch vor, dass sie mitten in der Messfeier einfach abhauen und mich allein am Altar stehen lassen wollten, es sei denn, ich würde die Ration an Backoblaten erhöhen. Hier war man als Priester ganz in der Hand des Kirchenvolkes.Unsere Messen waren in der Regel sehr kurz, weil alle Beteiligten nur gierig auf die Kommunionspendung warteten. Die Predigten waren ebenfalls kurz und bündig. Man bediente sich einiger gängiger Werbesprüche z.B. „Was ist des Abends schönster Schluss? Waldbauerschokolade, ein Hochgenuss!“ Oder: „Ob jung, ob alt, ob Hos’ ob Rock, sie alle trinken CEMA-Schok!“ oder: „Der Lurchi kennt schon lang die G’schicht’, Salamanderschuhe sind wasserdicht!“ oder: „Der Erdal-Frosch bringt Schuhen Glanz, sie bleiben dadurch länger ganz!“ Manchmal mussten auch Schüttelverse in der Predigt herhalten wie z. B.„Gibst du dem Hund Sardellenbutter, frisst er sie nicht, doch bellen tut er!“ Diese “Weisheiten“ wurden lautstark verkündet und mit einem kräftigen “Amen“ bestätigt.Eines Tages besuchte uns eine Frau, deren kleiner Sohn unbedingt Priester werden sollte. Als sie unseren Hochaltar entdeckte, war sie ganz begeistert und redete sie so lange auf uns ein, bis wir dem Buben unseren Altar zum Üben überließen. Damit war das Messespielen für uns kein Thema mehr. Übrigens: Der kleine Junge erfüllte trotz des wunderbaren Übungsgerätes nicht den Berufswunsch der Mutter sondern ging zur Bundeswehr. (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)