„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 24. Der Kirchenbauer |
24. Der KichenbauerDer Birzle-Bauer hatte seinen Hof neben der Pfarrkirche St. Nikolaus und trug den Hausnamen “Kirchenbauer“. Der Birzle war von großer, hagerer Gestalt, hatte einen dunklen Oberlippenbart und setzte sich als Kopfbedeckung ein Schiffchen auf, welches er aus seiner aktiven Militärzeit herübergerettet hatte. Wir Kinder kannten den Birzle-Bauern nicht von der Kirche, sondern weil er hoch zu Ross durch Stadtbergen ritt um nachzusehen, wer es wagte, auf seinen Wiesen Fußball zu spielen.Eine solche “Birzle-Wiese“ befand sich in unserer direkten Nachbarschaft, Ecke Oberer Stadtweg/Jahnstraße. Sie war mit einem Holzzaun aus altersschwachen Latten eingefriedet. Manchmal hielt ein Lastwagen mit Holzvergaser davor. Der Fahrer hüpfte mit einem Beil aus seinem Führerhaus, schlug schnell ein paar Zaunlatten ab und warf sie in seinen Heizkessel. Dann fuhr er wieder ruckelnd davon. Das Herausbrechen von Zaunlatten hatten wir daher nicht nötig, wir konnten unser Spielparadies ganz ungehindert betreten. So bolzten wir friedlich mit unseren Nachbarkindern und niemand dachte an den Birzle-Bauern, war er doch erst am Vortag von einigen am Oberen Stadtweg gesichtet worden. Als Torpfosten dienten unsere Skimützen – und schon ging es los. Das Spiel hatte gerade erst begonnen, da ertönte ein Schrei: „Der Birzle-Bauer kommt!“ Wie der Leibhaftige übersprang dieser auf dem Ross den Zaun, die Peitsche schwingend und brüllend: „ Ihr Hurabuaba, ihr Hundskrüppel, ihr Sauhund, macht’s mer mei ganze Wies’ kaputt!“Vom Peitschenknall elektrisiert zwängten wir uns wie Ratten durch die Löcher im Zaun und brachten uns in Sicherheit. Die Skimützen mussten wir in der Eile natürlich zurücklassen. Fußballfreund Eugen konnte leider nicht so schnell fliehen. Er war für damalige Verhältnisse schon etwas wohlgenährter und blieb an einem Schlupfloch hängen. Unter den Peitschenhieben des Bauern schrie der arme Kerl auf und warf sich mit seiner Leibesfülle so lange gegen den Zaun, bis die Lücke für ihn groß genug war und den Fluchtweg frei gab. Dabei zerriss seine Jacke. Große Fetzen hingen am Rücken herunter. Seine Oma jedoch war erfinderisch. Sie flickte die Jacke bald zusammen und nähte in ihrer Not einfach einen andersfarbigen Stoffrest auf den Rücken. Das brachte Eugen den Spitznamen „Fleckle“ ein, wo immer er mit dieser Jacke auftauchte. Als die kalten Wintertage hereinbrachen suchte unsere Mutter nach unseren Skimützen. „Schaut doch mal, wo eure Mützen sind, ich kann sie nirgends finden. Vielleicht habt ihr sie in der Schule vergessen.“„Die brauchen wir nicht suchen, die hat uns der Birzle-Bauer unlängst weggenommen, als wir auf seiner Wiese gebolzt haben. Wie eine Jagdtrophäe hat er sie sich aufgesetzt und ist damit fortgeritten.“ „Dann holt sie euch bei ihm wieder ab, wenn ihr einen warmen Kopf haben wollt, ich kann euch keine neuen Mützen kaufen!“ Wir aber gaben die Devise aus: „Lieber einen kühlen Kopf behalten, als dem Birzle die Mützen abbetteln!“ Da konnte unsere Mutter nichts dagegensetzen. (Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)