Enterbt – Was nun? |
Die Situation ist schmerzhaft. Nach dem Versterben eines nahen Angehörigen wendet der letzte Wille des Verstorbenen das gesamte Vermögen einer Person außerhalb der Familie zu. Die Angehörigen und der Ehepartner fragen sich in dieser Situation, ob dies rechtens sein kann und ob das Gesetz in einer solchen Situation Schutz bietet. Nach den rechtlichen Aspekten im Falle einer Enterbung erkundigten wir uns bei Rechtsanwalt Peter Brosche, einem Experten für Erbrecht.Süd-Anzeiger: Ist es überhaupt möglich, seine nächsten Ange-hörigen und seinen Ehepartner zu enterben?RA Brosche: Grundsätzlich kann jede(r) durch Testament oder Erbvertrag Vermögen an beliebige Personen weitergeben. Niemand zwingt den Erblasser, sein Vermögen nur an Verwandte oder den Ehepartner zu vererben. Eine Einschränkung hat das Gesetz jedoch mit dem Pflichtteilsrecht vorgesehen, das dem Ehegatten und den nächsten Verwandten zumindest einen Teil des Erbes sichert.Süd-Anzeiger: Wer gehört zu diesen Pflichtteilsberechtigten ?RA Brosche: Pflichtteilsberechtigt sind die Kinder, gleichgültig ob ehelich, adoptiert oder außerehelich sowie deren Abkömmlinge (nicht aber Stiefkinder oder Pflegekinder). Berechtigt sind weiter der Ehepartner sowie die Eltern. Zu beachten ist jedoch, dass entfernte Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers durch vorrangige Abkömmlinge des Verstorbenen ausgeschlossen werden. Daraus folgt beispielsweise, dass Eltern des Erblassers immer schon dann keinen Pflichtteilsanspruch haben, wenn der Erblasser Kinder oder Kindeskinder hinterlässt. Abkömmlinge von Kindern des Erblassers erhalten ihren Pflichtteil nur dann, wenn ihr eigener Elternteil bereits verstorben ist und dieser nicht auf sein Erbe verzichtet hatte oder für erbunwürdig erklärt wurde.Süd-Anzeiger: Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch?RA Brosche: Der Pflichtteilsanspruch ist ein Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Beläuft sich beispielsweise die gesetzliche Erbteilsquote auf 1/4, so ergibt sich ein Pflichtteil in Höhe von 1/8 des Geldwertes des Nachlasses.Der Geldwert des Nachlasses errechnet sich, indem man sämtliche Aktiva und Passiva saldiert. Zu den Aktiva gehören die Ersparnisse des Erblassers, seine sonstige Vermögenswerte wie Wertpapierdepots, Grundstücke, Beteiligungen an Unternehmen, Kunstgegenstände usw. Zu den Passiva zählen die Schulden, mit denen der Nachlass im Todeszeitpunkt des Erblassers belastet war. Ebenso die Verbindlichkeiten, die erst durch den Todesfall notwendig wurden, also insbesondere Beerdigungskosten, Kosten der Nachlasssicherung bzw. Nachlasspflegschaft. Süd-Anzeiger: Welchen Unterschied macht es, ob ich Erbe oder Pflichtteilsberechtigter bin?RA Brosche: Der Erbe tritt als Rechtsnachfolger allein in die Stellung des Verstorbenen ein, d. h. er wird Alleineigentümer des zuvor dem Verstorbenen gehörenden Vermögens. Der Pflichtteilsberechtigte hingegen wird nicht Eigentümer des Vermögens, sondern erhält nur einen An-spruch gegen den/die Erben auf Zahlung einer Summe in Geld in Höhe seiner Pflichtteilsquote.Süd-Anzeiger: Wie lange hat der Enterbte Zeit, seinen Pflichtteils-anspruch geltend zu machen? RA Brosche: Der Pflichtteilsanspruch verjährt drei Jahre nachdem der Pflichtteilsberechtigte von dem Tod des Erblassers und der den Pflichtteilsberechtigten beeinträchtigenden Verfügung Kenntnis erlangt hat. Unabhängig von dieser seiner Kenntnis verjährt sein Pflichtteilsanspruch in jedem Fall 30 Jahre nach dem Tod des Erblassers.Augsburger Südanzeiger: Kann der Erblasser einem Verwandten den Pflichtteil auch entziehen?RA Brosche: Der Pflichtteil ist unter engen gesetzlichen Voraussetzungen entziehbar. Der Gesetzgeber plant jedoch die Möglichkeiten einer Pflichtteilsentziehung zu erweitern. Nach derzeitiger Gesetzeslage kann der Pflichtteil entzogen werden, wenn sich ein Abkömmling gegenüber dem Erblasser oder dem Ehegatten des Erblassers strafbar gemacht hat. Dabei genügt nicht jede Straftat, der Pflichtteilsberechtigte muss vielmehr dem Erblasser oder dessen Ehegatten nach dem Leben getrachtet, ihn vorsätzlich misshandelt oder sich eines anderen Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens strafbar gemacht haben. Außerdem kann die böswillige Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser den Grund für eine Entziehung des Pflichtteils darstellen.Hat der Erblasser jedoch dem Pflichtteilsberechtigten dessen Handeln verziehen, erlischt das Recht zur Entziehung des Pflichtteils. Dies bedeutet, dass der Erblasser den Entzug des Pflichtteils nicht mehr wirksam in einem Testament anordnen kann. Ein bereits zuvor erfolgter Entzug des Pflichtteils wird durch die Verzeihung unwirksam. Insgesamt bietet sich sowohl bei der Auslegung von Testamenten als auch bei der Feststellung der Höhe des Pflichtteils und der möglichen Entziehung des Pflichtteils ein weites Feld für Auseinandersetzungen. Wer von einer Enterbung oder einem Pflichtteilsentzug betroffen ist bzw. eine solche selbst plant, sollte sich unbedingt anwaltlich beraten lassen.Augsburger Südanzeiger: Übernimmt eine solche anwaltliche Beratung die Rechtsschutzversicherung?RA Brosche: Im Rahmen einer allgemeinen Familienrechtsschutzversicherung sind in der Regel Erstberatungen in erbrechtlichen Angelegenheiten vom Versicherungsschutz umfasst.Augsburger Südanzeiger: Wir danken Ihnen für das Gespräch.