Das Ende der „Turbokuh“
Überzüchtete Hochleistungskühe, die unter der Last ihrer Euter vor Schmerzen kaum gehen können – dieses Zerrbild verbinden viele Verbraucherinnen und Verbraucher mit der modernen Rinderzucht. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.
Tatsächlich bestimmten Milch- und Fleischleistung die Anfänge der modernen Rinderzucht. Nach langen Kriegsjahren voller Hunger und Entbehrungen sehnten sich die Menschen nach Fleisch und Milchprodukten. Für das Tierwohl interessierten sich nur die Bauern selbst. Nachhaltigkeit war noch kein Thema. Außerdem fehlten Wissen und Technologien, um die Zucht gezielt weiterzuentwickeln.
In den letzten Jahren hat die Wissenschaft gerade in Bayern einen großen Sprung nach vorne gemacht. Und auch der Zeitgeist hat sich geändert. Tierwohl, Tiergesundheit und Nachhaltigkeit spielen heute eine herausragende Rolle in der Zucht. Neue Erkenntnisse über das Erbgut, und eine Unmenge von Daten sorgen dafür, dass die Lebenserwartung von Rindern steigt und sie gesund, fit und leistungsstark bleiben. Gerade für die Zucht gilt die Devise: Geht es den Tieren gut, geht es auch den Landwirtinnen und Landwirten gut.
Die Rinderzucht von gestern: Um die passenden Tiere für die nachfolgenden Generationen auszuwählen, richtete man sich früher im Wesentlichen nach den Nachkommen, die ein Bulle hervorbrachte. Anhand äußerer Merkmale der Töchter-Generationen wurden Rückschlüsse auf die Vererbungsfähigkeiten eines Bullen gezogen. Diese Methode funktioniert vor allem gut bei Merkmalen der Milch- und Fleischleistung. Zum einen, weil die Merkmale leicht vererbbar sind. Zum anderen, weil viele Betriebe Leistungsdaten von ihren Tieren sammeln. Die Forschung konnte und kann also mit einem großen Datenschatz arbeiten. Da aber Fitness und Gesundheit oft stark von äußeren Faktoren beeinflusst werden, ließ sich nur schwer erschließen, welche genetischen Fitness- und Gesundheitsmerkmale der Bulle an seine Nachkommen weitergibt.
Die Rinderzucht von heute: Fortschritt in der Genetik eröffnet der Zucht völlig neue Möglichkeiten; dabei wird das Erbgut von Zuchttieren analysiert, die Informationen dann mit den beobachteten äußeren Merkmalen verknüpft. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, die Vererbung bisher schwer zu bearbeitender Merkmale wie Robustheit, Fitness und Gesundheit mit höherer Genauigkeit vorherzusagen. Hierbei handelt es sich in keinem Fall um eine Manipulation von Erbgut oder Genen. Die genomische Vorhersage schätzt lediglich die Vererbungsleistung der Tiere ein. Damit lassen sich gezielt die passenden Elterntiere auswählen .
Um aus der Auswahl der vielen Zuchtbullen das perfekte Match zu finden, leiten Zuchtberatende mithilfe einer speziellen App ab, welcher Bulle die Schwächen der zu besamenden Kuh gezielt ausgleichen kann. „Tinder für Rinder“ sozusagen. Die Rinderzucht von morgen soll noch nachhaltiger werden. Forscher:innen suchen nach neuen Wegen, um beispielsweise den Einsatz von Ressourcen durch die Zucht weiter zu reduzieren. Im Rahmen neuer Forschungsprojekte arbeiten sie an Merkmalen, welche die Futtereffizienz verbessern und den Methanausstoß verringern. Die höhere Lebenserwartung von Milchkühen sorgt heute schon dafür, dass sich der CO 2 -Fußabdruck verkleinert.
Vorteil für den Klimaschutz
In Bayern ist das Fleckvieh besonders weit verbreitet. Diese sogenannte Doppelnutzungsrasse liefert Milch und Fleisch. Das hat Vorteile für die Gesundheit der Tiere und für das Klima. Weil sich Milchwirtschaft und Fleischwirtschaft eine Kuh teilen, reduziert sich der Methanausstoß pro Kilogramm Milch und Fleisch. Der CO 2 -Fußabdruck wird kleiner. Und: Da die Tiere nicht einseitig auf bestimmte Leistungsmerkmale gezüchtet werden, sind sie robuster und weniger anfällig für Krankheiten.
PM