„Sankt Martin ist ein frommer Mann, zündet viele Lichter an.“ So singen die Kinder am Martinstag, wenn sie mir ihren selbstgebastelten Laternen durch die dunklen Straßen ziehen. Vielerorts begleitet ein Reitersmann den Umzug. Er erinnert an den jungen noch ungetauften Martin als römischer Soldat, der nach der Überlieferung an einem kalten Wintertag einem frierenden Bettler begegnete, kurzerhand seinen Mantel zerschnitt und ihm die Hälfte hinreichte. Einige Jahre später ließ er sich taufen.
Der Lichterumzug hat sein Vorbild in der liturgischen Lichterprozession und hängt mit dem Licht als Symbol des Glaubens an Christus zusammen. Dazu kommt die Symbolik der Kerzen, die Licht und Wärme spenden und sich dabei selbst für andere verzehren. Der Heilige Martin verkörpert mit der Mantelteilung die christliche Nächstenliebe und Hilfeleistung für Arme und Kranke.
Als getaufter Christ hat Martin ein Kloster gegründet. 371 wurde er durch Volksabstimmung zum Bischof von Tours gewählt. Die Legende berichtet, dass er dieses Amt aus Bescheidenheit nicht übernehmen wollte und sich deshalb in einem Gänsestall versteckte. Doch haben ihn die Gänse durch ihr lautes Geschnatter verraten. Deshalb wird die Gans als beliebtes Festessen auf diese Geschehen zurückgeführt.
In Wirklichkeit hängt die Martinsgans als Festtagsbraten mit dem Kalender zusammen, denn der 11. November, der Gedenktag des Heiligen, war ein wichtiger Zinstermin. Die Bauern mussten jahrhundertelang an ihre Grundherren an diesem Tag Naturalabgaben abliefern, dabei spielten die Gänse als „Viehzehnt“ eine wichtige Rolle. Wer darüber hinaus noch Gänse für den Eigenbedarf schlachten konnte, der feierte an diesem Tag mit üppigem Essen und Trinken das Ende der Feldarbeiten. Grund zum Feiern hatten auch die Dienstboten, denen an diesem Tag der Lohn für die Arbeit im Sommer in Form von Naturalleistungen ausbezahlt wurde. Dabei waren Gänse besonders beliebt, denn neben dem schmackhaften Fleisch waren die flaumigen Gänsefedern sehr begehrt für das Federbett. Einfach Leute mussten darauf verzichten und auf dem Strohsack schlafen.
Zum alljährlichen Martinsfest im November gehören also kirchliche und weltliche Bräuche, die im Jahreslauf und in der persönlichen Lebensgestaltung einstmals eine wichtige Rolle spielten. Heute steht für beide Konfessionen der stimmungsvolle Lichterumzug im Mittelpunkt. Gerne gönnen sich die Leute ein Gansviertel, das schon als Vorbote von Weihnachten gilt.