„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 34. Maler Knöpfle hat Hochkonjunktur

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“ Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955) 34. Maler Knöpfle hat Hochkonjunktur


34. Maler Knöpfle hat HochkonjunkturEnde April 1949 sollte ich zur Erstkommunion kommen. Unsere Mutter meinte daher, es wäre höchste Zeit, die Küche zum bevorstehenden Fest tünchen zu lassen. So abgewohnt wie sie war könne man sie keinesfalls lassen. Malermeister Knöpfle, der nur unweit von uns seinen Betrieb hatte, wurde mit dieser Aufgabe betreut. Alsbald erstrahlte unsere Küche in frischem Weiß und die Mutter gab die Devise aus, wir sollten alle darauf achten, dass dies wenigstens bis zur Erstkommunion so bleibt. Dabei schaute sie vor allem meinen Bruder Dietmar und mich an, weil wir zu gerne im Küchenherd Papier verbrannten oder feuchtes Holz nachlegten, was je nach Wetterlage zu heftiger Qualmbildung führ-te. Dicke Rauchschwaden quollen dann aus allen Ritzen des Ofens und schwärzten die Decke! Also Hände weg vom Herd! Wir versprachen es.Ein paar Tage darauf war großer Waschtag. Dietmar und ich waren daheim. Wegen Windpocken mussten wir das Bett hüten und vertrieben uns mit Kartenspiel die Langeweile. Ab und zu schauten wir in die Küche, um etwas Essbares zu finden, und – da war ja noch der Küchenherd, der zum Zündeln einlud! Aber halt, wir hatten ja verspro-chen, davon Abstand zu nehmen! Bevor Tante Rosa in die Waschküche abtauchte, stellte sie noch den berühmten Topf Sauerkraut mit Schweinebauch auf den Herd. So konnte unser Mittagessen ohne Auf-sicht vor sich hinköcheln. Auf dem Wasserschiffchen des Herdes stand ein kleines, silbernes Döschen, das unsere Neugier erregte. Wir ver-suchten mit einem Schraubenzieher den Deckel aufzudrücken, um zu klären, was da drinnen sei, hatten aber keinen Erfolg dabei. Bald kam Tante Rosa aus dem Keller, um nach dem Kraut zu sehen. Sie glaubte, brenzligen Geruch wahrzunehmen und fragte mit energi-schem Unterton: „Habt ihr schon wieder gezündelt?“ Ihr Misstrauen war zwar verständlich, diesmal konnten wir ihre Frage ehrlich verneinen. Da bemerkte sie, dass die Dose nicht mehr an ihrem Platz auf dem Wasserschiffchen stand und meinte: „Lasst mir ja das Döschen in Ruhe und stellt es nicht auf den Herd. Da ist Leim drinnen und wenn der kocht, kann es explodieren und dann – wehe euch!“ Wir versprachen treuherzig, nichts anzustellen, wo doch die Küche so schön gemalert sei.Ob uns die Tante geglaubt hat, weiß ich nicht. Sie stieg jedenfalls wieder in den Keller zur Kochwäsche hinunter und Dietmar schob flugs das Leimdöschen in Richtung Herdmitte. Dann zogen wir uns in die Betten zurück, ganz sicher, dass die Warnungen unserer Tante nicht nötig waren, weil wir selbst mit vereinten Kräften den Deckel nicht abheben konnten. Was sollte da schon passieren? Zwischendurch sahen wir in der Küche nach dem Rechten. „Was die Tante nur hat,“ erklärte Dietmar, „die Dose ist doch vollkommen unge-fährlich!“ Seelenruhig setzten wir unser Spiel fort. Doch das Leimdös-chen ließ uns keine Ruhe. Bald trieb uns die Neugier wiederum aus dem Bett. Als wir in die Küche kamen, hörten wir ein leises Brutzeln aus dem Döschen. Dietmar schob es mit einem Löffelstil über die Herdplatte zu sich heran. Zu mehr kam er nicht. Rums! Mit einem lauten Knall explodierte die Dose. Der Dosendeckel wurde zur Decke geschleudert und blieb dort hängen. Eine braune, heiße, klebrige Masse tropfte von oben herab. Die Wände waren braun gesprenkelt. Mit einem Schrei verschwand Dietmar in sein Bett. Er hatte einige siedende Leimspritzer abbekommen. Ich schrie aus Sympathie gleich mit und tauchte ebenfalls unter die Kissen. Tante Rosa wurde von unserem Geschrei alarmiert. Sie stürzte in die Wohnung, sah die Bescherung und holte zuerst einen Schuhspanner hervor, der immer griffbereit im Schuhregal in der Küche lag. Damit verdrosch sie uns gehörig. Unsere Schmerzen hielten sich aber in Grenzen, weil wir die Schläge mit den Betten etwas abfangen konnten. Erst jetzt verarztete sie Dietmars Brandwunden mit einer Salbe. „So, der Dosendeckel bleibt an der Decke, bis eure Mutter von der Schule heimkommt. Die soll nur sehen, was ihr für saubere Früchtchen seid!“Als unsere Mutter ihre frisch geweißte Küche in diesem üblen Zustand vorfand griff sie ebenfalls zuerst zum Schuhspanner. Wir riefen zwar: „Halt, die Tante hat uns schon geschlagen!“ Das half aber nichts! Sie ignorierte unseren Hinweis und schlug erneut auf uns ein. Diesmal waren die Schläge äußerst schmerzhaft, weil wir keine Kissen dabei hatten. „Euch Lausbuben kann man keine fünf Minuten alleine lassen! Zur Strafe geht ihr morgen wieder in die Schule und habt dazu die ganze Woche Hausarrest“. Diese Ankündigung vergrößerte unsere Schmerzen um ein Vielfaches und wir zogen uns weinend in unser Zimmer zurück. Dort trösteten wir uns gegenseitig mit dem Hinweis, wie ungerecht es doch auf der Welt zugeht, wo Kinder für ein Vergehen gleich zweimal geschlagen werden. Dieser Gedanke tat uns gut, weil wir uns dabei nicht mehr als Täter sondern als Opfer fühlten.Grollend bestellte unsere Mutter am nächsten Tag Maler Knöpfle zum zweiten Mal. Wir aber brüteten gemeinsam darüber, was wir der erlittenen Schmach entgegensetzen könnten. In unserer Wut fiel uns jedoch nichts Gescheites ein, außer, dass wir, sobald wir wieder gesund wären, ganz weit weglaufen wollten. „Dann haben sie ihre Schuld!“ brummte ich vor mich hin. Ein paar Wochen später kam unseren Rachegelüsten der Zufall entgegen und das ganz ohne unser Zutun. Am Osterdienstag, kurz vor dem Weißen Sonntag wollte Tante Rosa zum Mittagessen Pfannkuchen mit Heidelbeerkompott machen. Darauf freuten wir uns natürlich. Heidelbeeren wurden damals in Bierflaschen mit Bügelverschluss eingekocht. Ein halber Liter Kompott war gerade die richtige Menge für eine Pfannkuchenmahlzeit. Ich war vormittags daheim und spielte, da es schon sehr heiß war, auf unserem Balkon. Ein Schlafzimmerfenster war zum Lüften in Richtung Balkon weit geöffnet.Kurz vor zwölf Uhr hörte ich aus der Wohnung einen Knall. Ich ließ mich davon aber nicht irritieren. Was sollte schon sein? Das Leimdöschen gab es ja nicht mehr! Plötzlich tauchte Tante Rosa im Fenster auf. Sie war total mit Blaubeeren verspritzt, die Beeren klebten in den Haaren und an der Brille. Sie hielt ihre Arme in die Höhe wie der Lehrer Lämpel nach dem Brandanschlag und sagte: „Winfried, schau mal, was passiert ist!“ Die frisch geweißte Küche war ein einziger blauer Sternenhimmel, von dem es süß herab tropfte. Der Boden, die Wände, Schränke und Regale. alles war blau! Man soll nicht glauben, wie viel Blau ein halber Liter Heidelbeerkompott ergibt! Die Tante verschwand im Bad um sich zu waschen, dann versuchten wir gemeinsam, den Boden aufzuwischen. „Ich habe den Flaschenbügel ganz vorsichtig geöffnet, aber das Kompott hat wohl durch Gärung einen solchen Druck aufgebaut, dass es explosionsartig zur Decke entwich. So ein Wahnsinn, die schöne Küche!“ klagte Tante Rosa verzweifelt. Ich hatte alle Mühe, meine Schadenfreude zu verbergen und bot mich an, sofort zum Maler Knöpfle zu gehen. So fröhlich und erleichtert bin ich selten den Oberen Stadtweg entlang gehüpft. Maler Knöpfle war sehr erstaunt, dass er zum dritten Mal unsere Küche weißeln sollte und meinte: „Ich glaube, es lohnt sich, wenn ich gleich bei euch einziehe!“ „Schon möglich“, gab ich zurück, „ein paar Flaschen Heidelbeerkompott haben wir noch in Reserve!“(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)