„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955): 19. Schwester Benonia geht die Luft aus

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945-1955)19. Schwester Benonia geht die Luft aus


19. Schwester Benonia geht die Luft ausIn der kleinen Michaelskirche in Pfersee fand die neu gegründete Pfarrei von Neustadtbergen ihre erste Heimat bis zur Einweihung der Kirche Maria Hilf im Dezember 1953. Den Organistendienst versah Schwester Benonia von Maria Stern. Sie war dort Musiklehrerin.Die kleine Orgel auf der Empore der Michaelskirche hatte noch keinen Motor und musste zum Spielen durch Pumpen mit der nötigen Luft versorgt werden. Der Blasebalg war an der Rückwand der Kirche in einem länglichen rechteckigen Kasten verborgen, zwei Stangen schauten wie Fühler aus dem Kasten heraus. Das waren die Griffstangen zum Pumpen, die man auf – und niederdrücken musste. Ebenso ragte ein schmaler Messstab aus dem Gehäuse. War der Balg vollgepumpt, stand der Stab oben an der Kastendecke und sank langsam nach unten, wenn ihm die Luft beim Spielen entzogen wurde. Hatte der Messstab seinen tiefsten Punkt erreicht, musste man wieder schnell Luft zuführen, sonst erstarb das Orgelspiel unter jämmerlichem Fauchen und Gewinsel.Wer auch immer als Pumper Dienst tat hatte die verantwortungsvolle Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Gemeindegesang störungsfrei begleitet werden konnte. An einem Sonntag, unsere Mutter hatte uns wieder einmal den Besuch in St. Nikolaus verwehrt und uns zu Fuß nach St. Michael mitgenommen, stand Schwester Benonia an der Kirchentüre und fragte die eintreffenden Gottesdienstbesucher, ob denn niemand bereit sei, den Blasebalg zu bedienen, der dafür vorgesehene Pumper sei leider krank. Unsere Mutter meinte: „Das können meine beiden Buben Dietmar und Winfried machen, die nerven mich schon auf dem ganzen Weg mit ihrem läppischen Getue!“ „Vielen Dank, Frau Hierdeis, so nette Jungen, die kommen gerade recht!“ Dann nahm sie uns mit auf die Empore und erklärte uns kurz, wie das Orgelpumpen funktioniert. „Vor allem müsst ihr immer gleichmäßig pumpen und immer auf den Messstab achten. Er sollte nicht unter die Mitte seines möglichen Weges absinken. So bleibt der Luftdruck schön stabil. Was die Orgel gar nicht mag ist ein hastiges, ruckartiges Pumpen, verstanden? Und macht mir ja keinen Blödsinn da hinten, sonst wart ihr das letzte Mal auf der Empore.“ Wir bestätigten, dass wir alles verstanden hatten und machten uns an die Arbeit. Schwester Benonia saß am Orgelbock mit dem Rücken zum Kirchenschiff und hatte das Instrument vor sich. Unser Anblick war ihr durch die Orgel versperrt. Das war auch gut so, denn sie konnte sich ganz auf ihr Spiel konzentrieren. Bei den Ersten Liedern klappte alles reibungslos, wir pumpten wie befohlen und die Orgel benahm sich ordentlich. Den Messstab hielten wir immer auf einem mittleren Stand, die Orgel hatte genug Luft. Bald wurde uns dieses Tun zu langweilig und wir wollten wissen, wie sich die Orgel verhält, wenn der Messstab weiter nach unten absank. Da hörte man aus dem Instrument ein kraftloses Hauchen, dafür fauchte Schwester Benonia vom Spieltisch her: „Luft, Luft, Luft!“ Gleich führten wir dem Instrument die nötige Luft zu und Orgel und Schwester waren zufrieden.Je länger der Gottesdienst dauerte, desto größer wurde unser Verlangen, auch mal in den Kirchenraum schauen zu können. Schließlich musste man sich informieren, wie lange der Gottesdienst noch geht und wer von den Freunden vielleicht unten sitzt. Wir pumpten also den Blasebalg voll auf und stellten uns anschließend an die Brüstung der Empore. Schwester Benonia wurde ganz unruhig, als sie uns dort erblickte und sah uns erwartungsvoll an. Wir aber ignorierten ihre Blicke und schauten seelenruhig nach unten in die Kirche.Auf einmal fing die Orgel mitten in einem Lied zu stöhnen an, die Tonlage des Instrumentes veränderte sich schlagartig, es säuselte, pustete und pfiff als ob es seine Seele aushauchen wollte. Schwester Benonia brüllte: „Luft, Luft Luft!“ Wie von der Tarantel gestochen sausten wir zum Blasebalg und rissen die Griffe auf und nieder. Das Instrument japste und schrie unter unseren heftigen Luftstößen auf. Es dauerte eine Weile, bis es sich von unseren ruckartigen Behandlung erholt hatte und ein gleichmäßiges Begleiten zuließ. Die Eskapaden der Orgel wurden von der Kirchengemeinde mit Unruhe, Kopfschütteln und Verweigern des Gesanges geahndet. Nach dem Gottesdienst übergab uns Schwester Benonia schweißgebadet und abgekämpft unserer Mutter. „Nie wieder kommen mir diese Buben auf die Empore, die will ich nie mehr bei mir oben sehen, solche Lausbuben. So kann man sich täuschen, eine so nette Mutter und dann diese Kinder. Nichts als Unfug im Sinn, diese Lauser!“ keuchte sie mit letzter Kraft. Uns war‘s recht, dass sie in Zukunft auf unseren Einsatz verzichten wollte, doch unsere Mutter meinte wütend: „Mit euch kann man sich nirgends sehen lassen. Sogar in der Kirche blamiert ihr mich. Das nächste Mal geht ihr alleine zur Kirche und zwar nach St. Nikolaus!“ „Oooooh..,“ sagten wir ganz traurig und freuten uns schon auf den kurzen Kirchenweg.(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)