„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa“: Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945 – 1955)

„Ja Buaba, dös ka ma fei it so lossa!“Kindheitsgeschichten aus der Nachkriegszeit in Stadtbergen (1945 – 1955)➇ Der Muck hat einen Fußball!


Es sprach sich in unserer Gegend in Windeseile herum, daß ich mir von meinem Erstkommuniongeld einen echten Lederball gekauft hatte. Bald versammelten sich gleich nach dem Mittagessen nicht nur meine Schulfreunde und deren große Geschwister, sondern auch die Freunde meiner älteren Brüder unten vor unserem Haus und riefen: „He Muck, komm runter, wir wollen mit dir bolzen!“ Meiner Mutter war die Schreierei sehr lästig. Sie öffnete unser Küchenfenster und teilte mit klarer Stimme der wartenden Menge mit, daß der Ballbesitzer leider erst Hausaufgaben machen müsse und mit seinem Erscheinen auf dem Sportplatz nicht vor 16.00 Uhr zu rechnen sei. Da kehrte vor dem Hause wieder Ruhe ein. Alle vertrollten sich und warteten am “Sportse“ auf mich.Meine großen Brüder wären zu gerne zwar ohne mich, aber mit meinem Ball zum Spielen gegangen. Das unterband meine Mutter mit der Ansage: „Den Ball bekommt ihr nur, wenn Winfried damit einverstanden ist.“Ich handelte mir dann bei ihnen Vergünstigungen ein, z.B. daß sie mich zum nächsten Oberligaspiel des BCA in das Stadion nach Oberhausen mitnehmen müssten oder daß sie mir bei den “Hausigs“ (Hausaufgaben) helfen, damit ich schneller zum Bolzen gehen könnte. Meine Brüder waren dazu gerne bereit.Sie wussten, je schneller sie die Verhandlungen mit mir hinter sich brachten, desto eher konnten sie den Ball nehmen.Die Fußballmannschaften waren altersmäßig sehr breit gestreut. Ich war mit meinen knapp acht Jahren der Jüngste. Ein großer Johannes aus der Goethestraße, er war der Freund eines Freundes meines ältesten Bruders Bernhard, wurde schon 18 Jahre alt.Dieses Altersgefälle war dem Spiel nicht immer zuträglich. Ich als Jüngster kam mir als Ballbesitzer sehr wichtig vor und trug dazu noch das blaue Fußballtrikot. Die meisten Kameraden bolzten in Lederhosen oder in alten kurzen Stoffhosen, welche die Kriegsjahre Dank guter Vorkriegsqualität überstanden hatten . Da viele Spieler mir körperlich weit überlegen waren, hüpfte ich wie eine Springmaus vor ihren Füßen herum. So traute sich keiner, fest auf den Ball zu hauen, in der Angst, er könnt mich anschießen oder gar verletzen. Das hätte von meiner Seite aus sicherlich Ballentzug bedeutet und das wollte niemand riskieren.Meine Brüder rieten mir, ich solle doch in das Tor gehen. Als Torwart wäre ich super, weil ich mit meinem blauen Trikot so toll aussähe. Auf diesen Tipp ging ich ein und zog mich in das Tor zurück. Nun konnten die Großen ungestört spielen. Dass jene Mannschaft, die mich als Torwart nehmen musste, das Spiel in der Regel verlor, wurde als kleineres Übel angenommen. Manchmal wurde ich auch so fest angeschossen, daß man mich durch einen größeren Jungen austauschen musste, weil ich einige Zeit brauchte, hinter dem Tor meine Schmerzenstränen zum Versiegen zu bringen. Fanden die Fußballkämpfe auf der Sattelmayerwiese neben dem Schlaugraben statt, gab es in den Pausen auch was zum Essen. Gleich über dem Graben nämlich war Gemüse angebaut. Hier wuchsen Karotten, Kohlrabi, Wirsing, Rosenkohl und Blaukraut. Daß Sport sehr hungrig macht, ist klar. Da viele von uns schon hungrig zum Spielen kamen, verdoppelte sich der Drang auf Nahrungsaufnahme. Wie Heuschrecken fielen wir in den Pausen im Gemüsefeld ein, steckten uns die Karotten in den Mund oder bissen einfach in die Blaukrautköpfe hinein.Einen Nachteil hatten diese “Rohkostpausensnacks“, wie man heute sagen würde. Man bekam, weil man sie ungewaschen konsumierte, Würmer davon.In Stadtbergen gab es seinerzeit noch keine Kanalisation. Die Versitzgruben mussten regelmäßig leergepumpt werden. Und wohin mit ihrem Inhalt? Natürlich als Naturdung auf die Wiesen und Felder – auch auf das Gemüsebeet …!Ja, Sport war auch damals schon sehr gesund, aber nur, wenn man auf frisches Gemüse verzichtete!(Weitere Geschichten von Winfried Hierdeis in den nächsten Ausgaben des Stadtberger Boten)